Proteste in Georgien halten an: "Die Spannungen sind sehr hoch"

Ein Mann erleidet während einer Kundgebung gegen ein Gesetz über ausländische Agenten vor dem Gebäude des nationalen Parlaments eine Tränengasvergiftung.

In Georgien halten die Proteste gegen das umstrittene Gesetz zu "Interessen ausländischer Mächte" an. Tausende Menschen gingen erneut auf die Straße. Sie versammelten sich am Dienstagabend vor dem Parlament in Tiflis, blockierten den Verkehr und riefen:"Nein zum russischen Gesetz!"

Die Polizei war im Einsatz, zeitweise gerieten Beamte und Demonstrierende aneinander, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP beobachtete. Im Parlament wurde es derweil mit einer Abstimmung ermöglicht, den Gesetzgebungsprozess fortzusetzen.

"Die Spannungen sind sehr hoch", sagt Georgien-Experte Denis Cenusa auf watson-Anfrage. Zum Teil sei das durch die seit Langem bestehende Polarisierung bedingt. Das "Agenten-Gesetz" teilt die Menschen im Land und erhitzt die Gemüter im georgischen Parlament. Dort kam es jüngst zu einer Prügelei.

"Agenten-Gesetz" in Georgien ein "kritischer Rechtsakt"

Oppositionsmitglied Aleko Elisashvili versetzte dem Angehörigen der Regierungspartei Mamuka Mdinaradze einen Schlag gegen den Kopf, worauf es zu einem Handgemenge zwischen mehreren Abgeordneten kam.

In Georgien kommt es zu einer Schlägerei im Parlament. Auslöser ist das umstrittene "Agenten-Gesetz".

"Das Gesetz über 'ausländische Agenten' ist ein kritischer Rechtsakt, da es zu Einschränkungen der Tätigkeit von NROs in Georgien führen kann", sagt der Experte vom Zentrum für Osteuropastudien. Unter NROs versteht man Nichtregierungsorganisationen, zum Beispiel Gewerkschaften, Kirchen und Bürgerinitiativen. Im Allgemeinen steht der Begriff für Organisationen, Vereine und Gruppen, die sich gesellschaftspolitisch engagieren.

Das Vorhaben bezeichnen Kritiker:innen auch als "russisches Gesetz", denn der Entwurf ähnelt einem 2012 in Russland verabschiedeten Gesetz. Russische Behörden nutzen es, um gegen Medien, regierungskritische Organisationen und andere Regierungsfeinde vorzugehen.

"Die Regierung versucht, das öffentliche Umfeld von Kritikern zu säubern."
\- Georgien-Experte Denis Cenusa -

Laut Cenusa richtet sich die Initiative vor allem gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die in ihrer Tätigkeit auf die eine oder andere Weise mit der Politik in Berührung kommen. Das beziehe sich auf den Wahlprozess oder die Überwachung der Reformen.

Denn: Die georgische Regierung könne die NROs, die von westlichen Gebern finanziert werden, nicht kontrollieren. "Daher ist man entschlossen, strengere Regeln für ihre Tätigkeit zu schaffen", sagt er.

Georgien: Regierung will mehr Einfluss auf "ausländische Mächte"

Mithilfe des "Agenten-Gesetzes" sei es der Regierung möglich, NROs etwa einer genaueren Prüfung ihrer Einnahmen und deren Herkunft zu unterziehen. "Dies könnte von der Parteipropaganda genutzt werden, um die NROs zu diskreditieren und ihre Rolle als demokratisierende Elemente zu verringern", warnt Cenusa.

Das oligarchische Regime ist laut ihm gewillt, seine Macht zu erhalten, und baue demnach seit Langem systematische Feinde gegen NROs auf. Hier spiele das "Agenten-Gesetz" ihnen sehr gut in die Hände. "Die Regierung versucht, das öffentliche Umfeld von Kritikern zu säubern", sagt Cenusa.

Der NRO-Sektor bewerte hingegen diese Politik durch "das Prisma des russischen Einflusses", der wieder stärker als bisher zum Tragen kommen könnte. Vor allem, wenn die pro-westliche Zivilgesellschaft aufhöre, als "Demokratisierungsmotor" in den georgischen Gesellschaften zu wirken.

Meldung

Doch welche Rolle sollte der Westen in diesem innenpolitischen Konflikt Georgiens spielen?

Experte warnt: Georgien hat einen kritischen Punkt erreicht

"Solange westliche Akteure nicht ihre Dienste als Vermittler anbieten, ist ein qualitativer Wandel unwahrscheinlich", meint Cenusa. Laut ihm ist in Georgien ein kritischer Punkt erreicht, an dem der Staat Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung ergreifen kann, indem er etwa Demonstrierende mit Gewalt zurückdrängt.

Diese Strategie könne nach hinten losgehen und zu länger anhaltenden Protesten führen, prognostiziert der Experte. Fakt ist: Die Regierung versuche, das Gesetz mit allen Mitteln durchzuboxen. Cenusa zufolge müssten die NROs dann ins Exil gehen, wenn sie nicht nach deren Pfeife tanzen.

"Ziel ist es, das Gesetz noch vor dem Sommer zu verabschieden und genügend Zeit zu haben, den Schaden in den kommenden Monaten vor den Parlamentswahlen zu beheben", führt er aus. Die Proteste könnten durchaus auf die Wahlen im Oktober Einfluss nehmen.

Proteste gegen "Agenten-Gesetz" als politische Chance für die Opposition

"Wenn die NROs und ihre Anhänger, einschließlich der Opposition, sich der Verabschiedung des Gesetzes bis September widersetzen, könnte dieses Ereignis der Opposition helfen, gegen den Georgischen Traum zu mobilisieren", sagt Cenusa.

Aber es sei offensichtlich, dass die Regierung sich diesen großen politischen Vorteil nicht verspielen will – "während es für die Zivilgesellschaft eine Frage des Überlebens ist", sagt Cenusa.

Die Situation könne sich demnach weiter zuspitzen, und zunehmende Gewalt schließt der Experte nicht aus. Dabei sollte das brutale Vorgehen der staatlichen Institutionen gegen die Demonstrierenden verurteilt werden, fordert er. Denn die Menschen auf der Straße hätten kein Interesse an Gewaltausbrüchen.

Am Ende sehe man hier einen "nicht-linearen Prozess des Übergangs zur Demokratie in einem Land mit instabilen demokratischen Institutionen", schlussfolgert Cenusa.

Laut Medienberichten setzte die Polizei Pfefferspray gegen Demonstrierende ein, mehrere Teilnehmer:innen wurden festgenommen. Auch Wasserwerfer standen in Bereitschaft. Dem Innenministerium zufolge wurde ein Polizist verletzt. Am Vortag waren etwa 10.000 Menschen gegen das Gesetz auf die Straße gegangen.

Im Parlament in der georgischen Hauptstadt stimmte am Abend derweil eine Mehrheit der Abgeordneten für eine erste Version des Vorhabens, was die Fortsetzung des Gesetzgebungsprozesses ermöglicht.

(Mit Material der afp)