Vogelgrippe breitet sich aus: Lauert hier die nächste Pandemie?

Virusalarm

Forscher besorgt: Wird die Vogelgrippe das nächste Corona?

Vogelgrippe-Ausbruch: Wie hier in Tschechien hat sich das Virus weltweit verbreitet. (Quelle: Patrik Uhlir/dpa)

Vogelgrippe-Ausbruch: Wie hier in Tschechien hat sich das Virus weltweit verbreitet. (Quelle: Patrik Uhlir/dpa)

Weltweit wütet die Vogelgrippe. Nun häufen sich Berichte, dass das Virus den Menschen erreicht hat. Droht eine neue Pandemie?

Die Vogelgrippe ist längst in großem Maßstab auf andere Arten übergesprungen. Zugvögel haben das hochinfektiöse Virus weltweit verbreitet, es nicht nur in Geflügelställe eingeschleppt. Infiziert wurden bereits unter anderem Nerze, Pinguine, Füchse und Katzen. Besonders der Übersprung auf Säugetiere bereitet den Experten Sorgen. Einige warnen bereits, dass sich dieselben Fehler wie zu Beginn der Corona-Pandemie wiederholen.

Wie ist der Stand?

In den USA wurde im März erstmals bestätigt, dass der Erreger H5N1 der Klade (Variante) 2.3.4.4b bei Milchkühen nachgewiesen wurde. Alarmierend bleibt der Fall eines Landarbeiters, der Ende März positiv auf das Virus getestet wurde. Damit übersprang das Virus die Artengrenze zum Menschen. Es ist der zweite Fall, der jemals in den USA auftrat. Weltweit wurden der Weltgesundheitsorganisation WHO seit 2021 knapp 30 Infektionen mit dieser Variante gemeldet.

Wie der Nachrichtensender "CNN" unter Berufung auf texanische Forscher berichtet, suchte Ende März ein Molkereiarbeiter einen Arzt auf, nachdem er schmerzhafte rote, geschwollene, nässende Augen mit geplatzten Blutgefäßen bekam. Er habe jedoch kein Fieber gehabt und seine Lungen waren frei, heißt es in der von den Wissenschaftlern veröffentlichten Studie.

Viren wimmelten im Auge, nicht in der Lunge

Doch die Mediziner fanden etwas anderes heraus: In den Augen des Patienten wimmelte es von H5N1-Viren, aber in seiner Lunge war der Krankheitserreger kaum nachweisbar. Das könnte darauf hindeuten, dass sich der Arbeiter über seine Augen infiziert hat – entweder durch Reiben mit kontaminierten Händen oder durch Spritzer kontaminierter Milch – und nicht über seine Lunge. Dorthin gelangten die Viren offenbar bislang noch nicht.

Der Mann sei mit antiviralen Medikamenten behandelt worden und habe sich ohne dauerhafte Probleme erholt. Seine nahen Familienangehörigen erhielten die Medikamente vorsorglich.

Virus zirkulierte schon Monate

Zur Vorgeschichte des Virusausbruchs fanden Forscher nun heraus: Das Virus zirkuliert in den amerikanischen Milchbetrieben mindestens schon seit November 2023, wurde also monatelang nicht entdeckt. Das US-Landwirtschaftsministerium bestätigte am 25. März offiziell das Vorhandensein des H5N1-Virus bei Milchkühen in Texas. Seitdem wurden in neun Bundesstaaten mindestens drei Dutzend infizierte Herden gemeldet, berichtet der Nachrichtensender "CNN". Als Ursache wird ein sogenannter Spillover vermutet, der Übersprung des Virus von Wildvögeln auf die Kühe.

Das US-Agrarministerium ordnete unter anderem an, dass nur noch Milchkühe mit negativem Vogelgrippe-Test von einem US-Staat zum anderen transportiert werden dürfen. Experten sehen das als unzureichend an.

"Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte Mike Worobey von der University of Arizona dem Magazin "Science". Diese Begrenzung sei vergleichbar mit der des Flugverkehrs zu Zeiten von Covid, jeweils "lange, nachdem sich die Viren an einem bestimmten Ort etabliert haben." Es könnte schlicht zu spät sein.

Virusnachweis in der Milch

Die Infektion könnte bereits viel weiter verbreitet sein als bisher angenommen. Denn: Das Virus wurde bei Milchtests in Einzelhandelsgeschäften ungewöhnlich oft nachgewiesen. Zwar scheint das Virus in den Proben pasteurisierter Milchprodukte nicht aktiv und damit nicht krankheitserregend zu sein, vom Verzehr von Rohmilch wird jedoch dringend abgeraten.

Angesichts des neuerlichen Virusausbruchs werden dunkle Erinnerungen wach. Auch das Coronavirus übersprang offenbar mehrere Arten, bevor es Anfang 2020 zu den ersten gemeldeten Toten kam. Zu diesem Zeitpunkt war das Virus innerhalb Chinas bereits auch schon viel weiter verbreitet als angenommen bzw. von den Behörden gemeldet.

Kann H5N1 eine neue Pandemie auslösen?

Mitte April meldete sich bereits die WHO zu Wort. Ihr leitender Wissenschaftler Dr. Jeremy Farrar zeigte sich besorgt, da das Vogelgrippevirus unter den Infizierten auf der ganzen Welt eine "extrem hohe" Sterblichkeitsrate aufweise. Von entscheidender Bedeutung sei es, ob eine Übertragung von Mensch zu Mensch stattfinden könne.

Auch der Evolutionsbiologe Michael Worobey warnt: "Wir befinden uns hier auf Neuland, da sich ein an Säugetiere angepasstes H5N1-Virus zum ersten Mal in Landsäugetieren ausbreitet, mit denen Hunderttausende von Menschen jeden Tag in Kontakt kommen", sagt er mit Blick auf die Situation in den USA. Das nächste Pandemievirus werde von einer Situation kommen, die dieser sehr ähnlich sei.

Eine ähnliche Situation wie zu Beginn der Corona-Pandemie sieht auch Jerome Adams. Er leitete bis 2021 den öffentlichen Gesundheitsdienst in den USA. Gegenüber "Business Insider" erklärte er: "Wenn es sich bei Tieren weiter ausbreitet, wird es irgendwann zu Problemen für den Menschen führen, entweder weil wir keine Nahrung haben, weil sie mit der Ausrottung von Herden beginnen müssen oder weil es beim Menschen einen großen Sprung macht." Und er warnt: "Je mehr es sich repliziert, desto größer ist die Chance, dass es mutiert."

Seine Sorge sei, dass wir immer wieder die gleichen Fehler machten, so Adams weiter. "Weil wir uns ständig auf die falschen Dinge konzentrieren, anstatt uns auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren." Um Ausbrüche bei Nutztieren einzudämmen, müssten diese getestet werden, was die Lebensmittelpreise ansteigen lassen würde. Adams forderte, der öffentlichen Gesundheit Priorität einzuräumen – und nicht der Konzentration auf mögliche Gewinnverluste.

Was würde bei einem Ausbruch passieren?

Dass das Virus hochgefährlich ist, erläutert auch der Direktor der klinischen Virologie an der Mayo Clinic, Matthew Binnicker, bei "Forbes": "Der hochpathogene Vogelgrippe-Subtyp H5N1 wurde erstmals 1996 in Südchina bei einem Ausbruch bei heimischen Wasservögeln identifiziert und führte zu mehr als 850 Infektionen beim Menschen mit einer Sterblichkeitsrate von mehr als 50 Prozent." Doch er weist auch darauf hin, dass es bis heute selten zu Ausbrüchen kam, sodass das Virus gut beobachtet und erforscht werden konnte.

Binnicker betont zudem, dass zwei Instrumente, deren Fehlen zu Beginn des Corona-Ausbruchs 2020 besonders problematisch waren, bei H5N1 bereits zur Verfügung stehen. "Eine der größten Herausforderungen in den ersten Wochen der Covid-19-Pandemie bestand darin, dass wir keine Möglichkeit hatten, herauszufinden, wer infiziert war. Dies führte dazu, dass Fälle unerkannt blieben, und förderte die Ausbreitung des Virus. Im Gegensatz dazu erkennen einige Tests, die wir derzeit zur Diagnose menschlicher Influenza verwenden – insbesondere molekulare Tests (zum Beispiel PCR) – Vogelgrippestämme, einschließlich H5N1."

Und noch etwas würde zu einer rascheren Bekämpfung des Virus beitragen: Es gibt bereits einen Impfstoffkandidaten, sodass die Erforschung und die Erprobung wegfallen würden. Und darüber hinaus sieht Binnicker noch einen Vorteil: Gegen Grippeinfektionen steht eine Reihe antiviraler Medikamente zur Verfügung.

In Europa gebe es noch keine Hinweise auf eine Infektion von Milchkühen mit dem Virus, betont der Virologe Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg. Dies könne sich jedoch jederzeit ändern, wenn es von den USA komme oder sich in Europa selbst entwickle.

Verwendete Quellen: