Putin spielt Personalschach in Russland: Experte sieht "Kampf der Bulldoggen"

Sergej Schoigu war nicht nur jahrelang Russlands Verteidigungsminister, sondern ist auch ein enger Vertrauter von Wladimir Putin.

Wladimir Putin räumt personell auf. Der Kreml hatte bereits im Vorfeld angekündigt, einige Ministerämter in Russland verändern zu wollen. Nun setzt Putin die Pläne in die Tat um. Am Sonntagabend verkündete der Sprecher des russischen Machthabers, Dmitri Peskow, nach 21 Uhr: "Sergej Kuschugetowitsch Schoigu ist mit Erlass des Präsidenten von seiner Position als Verteidigungsminister der Russischen Föderation entbunden worden."

Wirtschaftsfachmann Andrej Bjeloussow soll den Putin-Vertrauten ersetzen. Schoigu selbst wird zum Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Der 73-jährige Nikolai Patruschew muss den Posten für ihn räumen.

Anlass für diese Änderungen ist die Neubildung der russischen Regierung, die nach der Schein-Präsidentschaftswahl Mitte März jetzt verfassungsgemäß ansteht. Doch hinter der Entlassung Schoigus, der immerhin seit 2012 im Amt war, steckt offensichtlich mehr.

Putin setzt auf ihn: Wirtschaftsfachmann Andrej Bjeloussow soll Schoigu ersetzen.

Ein Zeichen dafür ist etwa die Tatsache, dass andere hochrangige Regierungsvertreter wie Ministerpräsident Michail Mischustin in ihrem Amt bleiben dürfen. Während einige Expert:innen darin eine klare Strategie Putins sehen, heben andere undurchsichtige und für Außenstehende schwer nachvollziehbare Prozesse hervor.

Russland: Putin plant einen langen Krieg und braucht dafür Beloussow

Beobachter:innen hatten bereits seit Längerem auf die Rivalitäten zwischen den Gruppen im russischen Militärapparat aufmerksam gemacht. Zwar konnten diese nach dem Tod des aufständischen Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin im vergangenen Sommer besänftigt werden. Doch spätestens seit der Verhaftung Schoigus Stellvertreter Timur Iwanow wegen Korruptionsvorwürfen war klar: Putins enger Vertrauter Schoigu wird wohl seinen Posten früher oder später räumen müssen. Geschehen ist dies am Wochenende.

Der Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Stefan Meister, sagt dazu im Gespräch mit watson: "Putin plant einen langen Krieg und braucht einen guten Manager für die Umstellung auf Kriegswirtschaft und Mobilisierung." Hierfür sei Beloussow ist der perfekte Mann.

Finanzielle Gründe spielen eine entscheidende Rolle für den Wechsel, wie Meister weiter ausführt. Denn Russlands Kriegskosten sind zu hoch:"Schoigu war sehr korrupt, viele Mittel sind verschwunden." Das Handeln des Vertrauten des Präsidenten sei nicht sehr effizient gewesen. "Putin hat nun darauf reagiert", sagt der Experte.

Russlands Militär verschlingt aktuell finanzielle Ressourcen.

Russland-Machthaber Putin will mit Beloussow einen verlässlichen Mann

Jetzt soll der 65-jährige Beloussow also aufräumen. Putin erhofft sich von dem Wirtschaftsfachmann, dass er die Gelder im Rüstungssektor besser verwaltet. Dazu sagt der politische Analyst und frühere Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow: "Beloussow weiß, woher er das Geld für den Krieg nehmen kann."

Laut Meister hat Putin verstanden, dass die Produktion von Waffen und Munition zentral dafür ist, den Krieg zu gewinnen. Das sieht auch der Osteuropa-Experte Andreas Umland so. Der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies sagt auf watson-Anfrage über die Personalie Beloussow: "Ihm wird nachgesagt, ein guter Ökonom zu sein. Daher gilt seine Ernennung als Zeichen, dass Russland die Umstellung auf Kriegswirtschaft beschleunigen will." Beloussow soll Russlands Militär auch finanziell auf einen langanhaltenden Krieg ausrichten.

Über Putins Entscheidung sagt Umland aber auch: Beloussow sei "in gewisser Hinsicht mit seiner Ernennung zum Minister herabgesetzt worden". Er habe keine Erfahrungen im militärisch-industriellen Komplex und werde in seinem Ministerium eher mit Kriegslogistik als Kriegswirtschaft beschäftigt sein.

Über Beloussow und dessen Einstellung schreibt die tschechische Zeitung "Lidove noviny", es sei ein Vorteil, "dass Beloussow aufrichtig daran glaubt, dass Russland seit langem von Feinden umzingelt ist und sich ihnen entgegenstellen muss". Er teile die "paranoide Weltsicht des russischen Präsidenten" und dessen Vorstellung, dass der Staat alles lösen könne. Putin erwarte von Beloussow, dass er den Krieg bis zum bitteren Ende führen werde. Und: "Für die Ukraine verheißt das nichts Gutes."

Russland: Putin lässt Weggefährten Schoigu sein Gesicht wahren

Eine klare Strategie Putins ist laut Umland dennoch nicht zu erkennen: Die Personalpolitik solcher Regime wird ihm zufolge häufig eher von schwer erkennbaren intra-administrativen und machtpolitischen als offensichtlichen innen- oder außenpolitischen Motiven bestimmt.

Ihm zufolge kommen möglicherweise in dieser ohnehin undurchsichtigen Lage noch irrationale Aspekte hinzu, "welche noch schwerer zu entziffern sind". Umland glaubt, dass es vielmehr einen "Kampf der Bulldoggen unter dem Teppich" gebe, der sich genauer Beobachtung entzieht. "Die verschiedenen Clans um Putin müssen in Balance gehalten werden, was dann unter anderem zu solchen Personalrochaden führt", sagt der Osteuropa-Experte.

Mit Beloussows Ernennung zum Verteidigungsminister wird sich jedoch nichts an der grundlegenden Ausrichtung des Krieges ändern. Schließlich läuft es für Russland derzeit nicht schlecht. Im Osten des angegriffenen Nachbarlandes hat Russland seit Monaten die Initiative.

Schoigu und Putin sind enge Vertraute.

Zudem war die geplante Sommeroffensive der Ukraine nicht so erfolgreich wie gehofft, Kiew hat wichtige Stellungen verloren, etwa an der Kleinstadt Awdijiwka. Derzeit läuft zudem eine neue Großoffensive in Charkiw. Dort soll die ukrainische Verteidigung vor dem Nachschub an neuen Soldaten und Waffen geschwächt oder durchbrochen werden. Dennoch: Russland hat bisher vor allem lediglich taktische Erfolge erzielt.

Zu wenig, um Schoigu ein gutes Image zu verpassen. In Russland hatte er wegen des schleppenden Krieges zunehmend an Ansehen verloren. Doch Putin und Schoigu sind befreundet, urlaubten sogar mehrmals gemeinsam.

Putin und Schoigu zusammen im Urlaub.

Dank seiner neuen Position als Sekretär des Sicherheitsrats kommt Schoigu nicht aufs Abstellgleis. "Putin lässt seine langjährigen Weggefährten aus Petersburger Zeiten nicht fallen. Er ist jetzt auf einem Prestigeposten, bei dem er nicht viel Geld umsetzen kann, aber den Präsidenten weiterhin in Sicherheitsfragen berät", sagt Meister dazu.

Operational sei der Posten zwar weniger wichtig, doch das Prestige sei hoch. Mit der Versetzung hat Putin seinem langjährigen Weggefährten also eine Lösung geboten, die sein Gesicht vor den Russ:innen bewahrt.

Das eigentlich Interessante an der Ernennung Schoigus zum Sicherheitsratssekretär ist laut Umland die damit einhergehende Absetzung Nikolaj Patruschews von diesem bis dato einflussreichen Posten. "Patruschew galt bislang als der zweitmächtigste Politiker Russlands. Daher warten Russlandbeobachter nun darauf, was jetzt aus ihm wird", sagt der Osteuropa-Experte.

Allerdings ist sich Umland sicher: Es sei jetzt schon abzusehen, dass mit Patruschews Ablösung die Bedeutung des Sicherheitsrates im russischen Machtgefüge sinken werde.

(Mit Material von dpa / afp)