Politisch motivierte Gewalt nimmt zu. Was bedeutet das für unsere Demokratie?

Aus einem Amateurvideo nach dem Anschlag auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, via AP ©Captura de vídeo de AP

Politische Gewalt ist in Europa auf dem Vormarsch. Das Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Fico am Mittwoch markiert zwar einen Wendepunkt, wie er seit vielen Jahren nicht mehr beobachtet wurde. Aber viele Mitgliedstaaten haben seit mehreren Jahren mit einer Zunahme der Taten und ihrer Schwere zu kämpfen. Das allgemeine politische Klima mit dem Anstieg der Extreme, sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite, und die bevorstehenden Europawahlen erklären diese Taten zum Teil, aber die Wurzeln des Übels liegen tiefer, so Eric Maurice, Forscher an der Brüsseler Denkfarbrik European Policy Centre gegenüber Euronews:

"Es stimmt, dass wir einerseits in den Wahlergebnissen einen Anstieg der Extreme, der radikalen Kräfte beobachten, auf der Rechten wie auf der Linken, mit einer zunehmend enthemmten politischen Sprache, mit verbaler Gewalt und ad hominem-Angriffen auch in der politischen Debatte, und auch eine Radikalisierung, eine Polarisierung der Gesellschaft und eine Schwierigkeit, mit politischen Gegnern zu diskutieren, weil sie sehr oft zu Feinden geworden sind."

In Deutschland gab es seit Anfang des Jahres 22 tätliche Angriffe, darunter zuletzt auf den sozialdemokratischen Europaabgeordneten Matthias Ecke. Die Zahl der körperlichen und verbalen Gewalt gegen Abgeordnete oder gewählte Vertreter hat sich in den letzten fünf Jahren in Deutschland fast verdoppelt. Laut der deutschen Bundespolizei kam es im vergangenen Jahr zu 2 790 Zwischenfällen.

[Es gibt] eine Schwierigkeit, mit politischen Gegnern zu diskutieren, weil sie sehr oft zu Feinden geworden sind

In Frankreich ist die Lage ähnlich. Nach Angaben des Innenministeriums wurden im Jahr 2022 insgesamt 2 265 Beschwerden oder Meldungen gezählt, was einem Anstieg von 32 Prozent im Vergleich zu 2021 entspricht. Und laut den Behörden ist das Jahr 2023 noch beunruhigender, mit 2 387 Übergriffen in den ersten drei Quartalen, die teilweise gewalttätig waren.

Die Faktoren , die bei dieser Gewalt eine Rolle spielen, sind vielschichtig, so Eric Maurice:

"Grundsätzlich sind es auch die sozialen Bedingungen, unter denen diese Atmosphäre voranschreitet. Warum sind viele Bürger, viele Menschen anfällig für Desinformation oder zumindest für Verschwörungstheorien? Das liegt daran, dass sie kein Vertrauen mehr in die Autoritäten haben. Warum sie kein Vertrauen mehr? Das ist eine sehr komplexe Frage. Es gibt ein Gefühl der Verwundbarkeit, und es gibt die Tatsache, dass sie sich von den Herrschenden nicht berücksichtigt fühlen. Das kann ihre wirtschaftliche Situation sein, das kann ihre persönliche Situation in Bezug auf viel intimere Dinge sein, die sich dann aber in einem Misstrauen gegenüber der Menschheit und den Autoritäten äußern".

Die Gefahr für die europäische Demokratie besteht aber auch darin, dass immer mehr Menschen aus Angst vor solchen Gewalttaten darauf verzichten, sich politisch zu engagieren oder sich zur Wahl zu stellen.

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