Putin hat ein Gas-Problem: Wie lange kann Russland den Krieg noch finanzieren?

Niedergang von Russlands Gazprom

Putins Traum scheitert

Wladimir Putin: Der russische Präsident hat sich bezüglich Gas-Verkäufen nach Asien verspekuliert. (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov/Kremlin Pool/imago-images-bilder)

Wladimir Putin: Der russische Präsident hat sich bezüglich Gas-Verkäufen nach Asien verspekuliert. (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov/Kremlin Pool/imago-images-bilder)

Wladimir Putin wollte nach der Entkoppelung vom europäischen Gasmarkt seine Rohstoffe nach Asien verkaufen. Doch der Plan geht nicht auf – und Gazprom steckt in einer schweren Krise. Das hat Folgen für die russische Kriegskasse.

"Träume werden wahr." Das ist der Unternehmensslogan des russischen Gasriesen Gazprom. Man kann es vielleicht keinen Traum nennen, aber der russische Präsident Wladimir Putin hatte zumindest eine genaue Vorstellung, was passieren sollte, nachdem Russland 2022 die Ukraine überfiel und ein Großteil der europäischen Staaten sich vom russischen Gasmarkt entkoppelte: Während explodierende Gaspreise in Europa im Sinne des Kremls Revolten auslösen sollten, wollte Putin sein Gas nach Asien und vor allem nach China verkaufen. Am Ende sollten die Europäer ihn anflehen, damit Russland die Rohstofflieferungen wieder aufnimmt.

Dieser Traum wurde nicht wahr. Vor zwei Jahren prognostizierte der ehemalige Präsident und Putin-Vertraute Dmitri Medwedew Europa eine Explosion der Gaspreise – etwa um das Fünfzigfache ihres Vorkriegsdurchschnitts sollten sie steigen. Kurz schnellten die Preise tatsächlich in die Höhe. Doch mittlerweile liegt etwa der Preis in Deutschland aktuell bei 7,8 Cent pro Kilowattstunde. Das ist so wenig wie im Oktober 2021, vier Monate vor dem Beginn von Putins Invasion in der Ukraine.

Der russische Staatskonzern Gazprom schreibt erstmals seit Beginn der Jahrtausendwende rote Zahlen. (Quelle: Stringer/dpa/dpa-bilder)

Der russische Staatskonzern Gazprom schreibt erstmals seit Beginn der Jahrtausendwende rote Zahlen. (Quelle: Stringer/dpa/dpa-bilder)

Während Europa zumindest an der Gasfront momentan aufatmen kann und auch die Ölpreise wieder sinken, hängt das einstige russische Vorzeigeunternehmen Gazprom in den Seilen. Der Staatskonzern meldete Anfang Mai für 2023 einen Nettoverlust von 629 Milliarden Rubel (fast 6,4 Milliarden Euro) – es ist der höchste Nettoverlust, den Gazprom seit 1999 verzeichnet hat. Der Grund: Die Erschließung neuer Märkte läuft nicht gut, und auch die Zusammenarbeit mit China stockt an vielen Stellen.

Putin hat sich verschätzt, die Alarmglocken im Kreml schrillen. Wenn er das Problem nicht in den Griff bekommt, könnten ausbleibende Gewinne aus Rohstoffgeschäften die Finanzierung seines Krieges ab kommendem Jahr deutlich beeinträchtigen.

Rohstoffverkäufe sind Achillesferse der russischen Wirtschaft

Diese Entwicklung ist auch deshalb interessant, weil russische Gasgeschäfte nicht von EU-Sanktionen betroffen sind. Vielmehr hat die russische Führung 2022 Gaslieferungen eingestellt, um Druck auf Deutschland und andere Länder auszuüben. Der russische Präsident wollte zu dieser Zeit zeigen, wer am längeren Hebel sitzt und die Abhängigkeiten nutzen, die die deutsche Wirtschaft durch die Gewöhnung an günstige russische Rohstoffe hatte.

Aber Gazprom war nicht nur Putins Waffe im Rohstoffkrieg gegen den Westen. Ohne Dividenden überwies das Unternehmen im Jahr 2022 mindestens 40 Milliarden US-Dollar an die russische Staatskasse – entweder für den Staatshaushalt oder den Nationalen Wohlfahrtsfonds (NWF). Das ist keine Kleinigkeit, immerhin war Gazprom vor zwei Jahren noch für zehn Prozent der Einnahmen des russischen Staatshaushaltes verantwortlich. Diese Einnahmen füllten Putins Kriegskasse.

Ukrainische Soldaten stehen vor einem Panzer: Die Ukraine leistet auch nach über zwei Jahren Krieg weiterhin erbitterten Widerstand. (Quelle: Gleb Garanich/reuters)

Ukrainische Soldaten stehen vor einem Panzer: Die Ukraine leistet auch nach über zwei Jahren Krieg weiterhin erbitterten Widerstand. (Quelle: Gleb Garanich/reuters)

Kriege sind teuer – und der russische Angriffskrieg in der Ukraine läuft viel länger, als der Kreml ursprünglich geplant hatte. Deswegen braucht Putin Geld, und der Kreml hat Gazprom aufgefordert, bis 2025 eine monatliche Abgabe in Höhe von 500 Millionen US-Dollar an den Staat zu zahlen. Doch ob das Unternehmen diesen Anteil am NWF leisten kann, ist momentan völlig unklar.

Wie lange ist Putins Kriegskasse noch gefüllt?

Das wird für die russische Führung zum Problem. Momentan steht die russische Wirtschaft vor allem deswegen noch so gut dar, weil der Staat den expandierenden Rüstungssektor massiv subventioniert: Panzer, Raketen, der Sold der Soldaten und für die Hinterbliebenen, sollten sie in der Ukraine fallen. Die Arbeiter in Rüstungsfabriken produzieren rund um die Uhr Rüstungsgüter, in drei Schichten. Das hat den Nebeneffekt, dass ein Teil der russischen Gesellschaft über deutlich mehr Geld verfügt als vor dem Krieg. Dennoch bezahlt das alles in erster Linie der russische Staat.

Russische Soldaten rücken in der eroberten Stadt Awdijiwka vor: Putins Angriffskrieg wird maßgeblich aus Rücklagen und Rohstoffgeschäften finanziert. (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov)

Russische Soldaten rücken in der eroberten Stadt Awdijiwka vor: Putins Angriffskrieg wird maßgeblich aus Rücklagen und Rohstoffgeschäften finanziert. (Quelle: IMAGO/Stanislav Krasilnikov)

Im Jahr 2008 hat Putin den NWF ins Leben gerufen. In den Fonds floss jahrelang Geld aus den russischen Rohstoffgeschäften. Putins Krieg zehrt diese Reserven nun langsam auf, die Hälfte – rund 60 Milliarden US-Dollar – sollen bereits weg sein. Und zur Erinnerung: Als die Rohstoffpreise 2022 zunächst anstiegen, machte Gazprom in diesem Jahr noch einen Gewinn von fast 12,5 Milliarden Euro und konnte somit auch mehr in den NWF einzahlen.

Nun stehen das Unternehmen und der russische Staat vor einem Problem: Entweder gibt der Gasriese künftig weniger Geld in den Wohlstandsfonds oder reduziert geplante Investitionen in Gasfelder und Pipelines. Das würde das russische Wirtschaftswachstum massiv beeinflussen.

Düstere Aussichten für Gazprom

Aber es könnte für Putin noch schlimmer kommen, denn die Zahlen für das Jahr 2024 deuten eine noch düsterere Entwicklung für Gazprom an. Die Verluste des Unternehmens waren im ersten Quartal 2024 fast fünfmal höher als im gleichen Zeitraum des Jahres 2023 – und das könnte auch den russischen Finanzsektor in Bedrängnis bringen.

Ein Tanker liegt mit einer Ladung LNG im Energie-Terminal auf der Insel Rügen: Hier kommt LNG an und wird als Gas über Lubmin in das deutsche Verteilnetz eingespeist. (Quelle: Stefan Sauer/dpa/dpa-bilder)

Ein Tanker liegt mit einer Ladung LNG im Energie-Terminal auf der Insel Rügen: Hier kommt LNG an und wird als Gas über Lubmin in das deutsche Verteilnetz eingespeist. (Quelle: Stefan Sauer/dpa/dpa-bilder)

Der Kreml hat russische Banken dazu verpflichtet, Gazprom Kredite zu gewähren – ein Geschäft mit Risiken. Denn die Daten des Unternehmens aus 2024 zeigen einerseits, dass die Einnahmen aus Gaslieferungen im freien Fall sind. Andererseits stiegen die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen im Jahr 2023 um rund 50 Prozent, was darauf hindeutet, dass Gazprom Schwierigkeiten hat, seine eigenen Rechnungen von verschiedenen Lieferanten zu bezahlen.

Deshalb hat sich die Aufnahme von kurzfristigen Krediten des Unternehmens in den ersten drei Monaten dieses Jahres im Vergleich zum letzten Quartal 2023 fast verdoppelt – ein weiteres Warnzeichen. Wer soll Gazprom retten, wenn der NWF aufgebraucht und russische Banken vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten sind? Das alles ist völlig unklar.

Transitabkommen mit Ukraine läuft aus

Und es kommt noch dicker für Gazprom. Denn das Unternehmen liefert immer noch Gas an Österreich, Ungarn oder die Slowakei – und zwar über eine Pipeline, die durch die Ukraine führt. Aber das Transitabkommen läuft Ende dieses Jahres aus. Somit könnte 2025 für Gazprom noch schwieriger werden – und Putin hat eigentlich nur eine Hoffnung: China.

Teil der Ölpipeline Druschba in Russland (Archivbild): Das Transitabkommen zwischen Russland und der Ukraine läuft Ende 2024 aus. (Quelle: Itar-Tass/imago-images-bilder)

Teil der Ölpipeline Druschba in Russland (Archivbild): Das Transitabkommen zwischen Russland und der Ukraine läuft Ende 2024 aus. (Quelle: Itar-Tass/imago-images-bilder)

Der Kreml hatte gehofft, dass die energiehungrige Volksrepublik die Ausfälle aus Geschäften mit Europa zumindest zu einem relevanten Teil mit Gaskäufen kompensieren kann. Doch diese Idee ging nicht auf: Im vergangenen Jahr kaufte China lediglich 23 Milliarden Kubikmeter russisches Gas, ein Bruchteil der 180 Milliarden Kubikmeter, die Moskau früher nach Europa transportierte.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits benötigt die chinesische Wirtschaft aktuell nicht so viel Gas, weil sie vor allem andere Energieträger nutzt. Andererseits gibt es noch nicht die Pipelines zwischen China und Russland, die diese großen Gasmengen transportieren könnten.

China hält sich zurück

Dabei wird vor allem deutlich, dass der chinesische Präsident Xi Jinping diese Geschäfte auch eigentlich nicht beschleunigen möchte. China will zwar Gas kaufen, aber dafür 20 Prozent weniger zahlen als zuvor die Europäer. Und Peking nutzt die Abhängigkeit aus, die Russland mittlerweile vom chinesischen Markt hat, um die Preise noch weiter zu drücken. Deswegen stockt aktuell der Bau der Pipeline "Power of Siberia 2", die die Gaslieferungen nach China steigern würde. Russland und China sind sich in Fragen der Preisgestaltung uneinig.

Der chinesische Präsident Xi Jinping (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin: Ihre Partnerschaft hat Grenzen – vor allem bei Gas. (Quelle: Suo Takekuma/AP/dpa/dpa-bilder)

Der chinesische Präsident Xi Jinping (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin: Ihre Partnerschaft hat Grenzen – vor allem bei Gas. (Quelle: Suo Takekuma/AP/dpa/dpa-bilder)

Xi handelt vor allem im chinesischen Eigeninteresse, und China ist momentan nicht gewillt, US-Sanktionen zu riskieren, damit Putin seinen Krieg einfacher finanzieren kann. Der Kreml muss sich also zwingend nach anderen Märkten umsehen – und seine Rohstoffe wahrscheinlich weiter zu Billigpreisen verschleudern. Aber selbst das wird nicht einfach. Denn für die Verschiffung von LNG-Gas bräuchten russische Unternehmen westliche Maschinen, die das Gas auf minus 160 Grad Celsius abkühlen können. Das haben vor allem die Amerikaner im Blick – und drohen Ländern, die Russland helfen, mit Sekundärsanktionen.

Die Folgen von all dem für die russische Wirtschaft sind verheerend. Vor dem Krieg hatte Russland noch einen Anteil von 30 Prozent am weltweiten Gasmarkt – bis 2030 soll dieser Anteil auf 15 Prozent sinken, prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA). Das liegt vor allem in Putins Verantwortung, weil er sich aus strategischen Gründen entschloss, die Lieferungen an seine Hauptkunden in Europa einzustellen. Diese Bereitschaft, Rohstoffe als Waffe zu benutzen, hat weltweit Misstrauen erregt – auch in Peking. Putin gehen in seinem Krieg wahrscheinlich nicht die Soldaten aus, aber vielleicht irgendwann das Geld. Das wäre zumindest ein wahr gewordener Traum für die Ukraine.

Verwendete Quellen: