Als Alexander Gerst erstmals ins All flog

Alexander Gerst blickt während seines Fluges mit der Internationalen Raumstation ISS durch ein Fenster in der Kuppel auf die Erde. Nasa/dpa

An die magische Nacht von Kasachstan kann sich Raumfahrer Alexander Gerst genau erinnern. «Wenn man die Treppe zur Rakete hochsteigt und sich vorübergehend von dieser Welt verabschiedet, ist da auch ein Moment der Einsamkeit», erzählt der Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation (Esa). «Man spürt die Bedeutung des Augenblicks, alle sind aufgeregt, während man selbst in einer beinahe friedlichen Stimmung verweilt. Wer in eine solche Rakete steigt, muss mit sich im Reinen sein, denn er weiß, dass es sein kann, dass man nicht zurückkehrt.»

Vor zehn Jahren, am 28. Mai 2014, flog Gerst erstmals ins All - mit einem spektakulären Nachtstart vom legendären Kosmodrom Baikonur und als elfter Deutscher. Bereits am nächsten Morgen ging Gerst zur Arbeit, wie viele Deutsche auch - nur eben 400 Kilometer über der Erde, auf der Internationalen Raumstation (ISS). Vom Außenposten der Menschheit aus ließ «Astro-Alex» Experten und Laien teilhaben an seiner Mission. «Ich hatte viel aufgegeben und alles riskiert für diesen Traum. Und dann kam der Moment, in dem ich realisiert habe: Ich bin im Weltraum. Eine riesige Last fällt in so einem Moment von den Schultern.»

Belastung durch Ukraine-Krieg

Der in Künzelsau (Baden-Württemberg) geborene Geophysiker blieb 165 Tage im All und flog 2018 erneut zur ISS - wieder von Baikonur und wieder mit einer russischen Sojus-Rakete. Schon damals waren die Beziehungen wegen der russischen Annexion der Krim belastet, inzwischen hat Moskaus Krieg gegen die Ukraine die Zusammenarbeit weiter schrumpfen lassen. Gerst bedauert das. «Bei jedem Krieg gehen Dinge auf schreckliche Weise verloren. Das ist die Natur eines Krieges, und auch die Raumfahrt bleibt davon nicht verschont. Vieles, was wir aufgebaut haben an internationalem Vertrauen und Kooperation, leidet jetzt darunter.»

Deutschlands damaliger Raumfahrtchef Jan Wörner war unsicher, ob ein Flug nach Baikonur eine gute Idee sei. «Es war kurz nach der Krim-Annexion.» In Baikonur angekommen, habe er aber Gerst und seine Begleiter aus Russland und den USA in bester Stimmung erlebt. «Als Alex die Treppe hinaufstieg, hatte ich ein flaues Gefühl der Verantwortung. Ich rief 'Tschüss' - um es sofort zu bereuen und stattdessen 'Auf Wiedersehen' zu rufen», so Wörner heute.

363 Tage bei zwei Missionen: Kein Deutscher war so lange in der Umlaufbahn wie Gerst. Dazu ein Außeneinsatz im Weltall: Das macht den Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf nach Ansicht von Experten zum Kandidaten für den Mond. Der 48-Jährige sieht bei der geplanten US-Mondmission «Artemis» Chancen für einen Europäer oder eine Europäerin im Mondorbit. Bei dem US-geführten Projekt sollen jeweils vier Astronauten zum Mond fliegen - zwei verbleiben im Mondorbit und zwei landen auf dem Erdtrabanten, erstmals seit 1972 wieder.

Europa auf dem Mond?

Ein Mitflug einer Astronautin oder eines Astronauten der Esa sei für «Artemis 4» und «Artemis 5» geplant, hatte Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher im November gesagt. Ob sie oder er zu den je zwei der vier Raumfahrer gehören werden, die nicht nur zum Mond fliegen, sondern ihn auch betreten, sei unklar. «Das ist noch nicht definiert», erklärte Aschbacher.

«Momentan sind wir bei der Esa sechs aktive Astronautinnen und Astronauten mit Raumfahrterfahrung», so Gerst. «Ich denke, keiner von uns würde Nein sagen.» Doch - was wollen wir eigentlich dort? «Der Mond ist wie ein großes Geschichtsbuch über die Vergangenheit der Erde», sagt Gerst. «Meine Vorhersage ist, dass wir auf dem Mond mehrere Forschungsstationen haben werden, die friedlich Wissenschaft betreiben. Wie in der Antarktis. Die Erforschung der Antarktis haben manche Menschen auch zuerst infrage gestellt mit dem Argument, dort gäbe es nur Eis und Schnee. Heute gibt es dort eine Vielzahl dauerhaft bewohnter Stationen, die für das Verständnis des Klimawandels entscheidende Daten sammeln. Ich habe als Geophysiker selbst auf fünf Expeditionen dort geforscht.»

Der Mond sei auch ein Sprungbrett für eine mögliche Mars-Mission. «Als Bewohner der Erde sind wir ein Inselvolk im All. Wir sind neugierig und wollen das uns umgebende Meer verstehen», so Gerst. «Durch die Raumfahrt werden wir Dinge entdecken, die wir uns aktuell nicht vorstellen können.»

«Wir stehen ganz am Anfang»

Hunderttausende Generationen hätten nach oben auf die Sterne geschaut und sich gefragt: Was ist da draußen? «Wir sind erst die zweite Generation, die dank der Raumfahrt einen Blick zurück von Außen auf die Erde werfen kann», sagt Gerst. Fast 65 Jahre nach dem ersten bemannten Raumflug 1961 stehe die Menschheit noch ganz am Anfang der Entwicklung.

Damals war der Russe Juri Gagarin von Baikonur aus als erster Mensch ins All geflogen. «In Baikonur steigst du dieselbe Treppe wie Gagarin hinauf. Hoch, immer weiter hoch. Du steigst ein, fliegst los und landest ein halbes Jahr später in der Steppe. Die Treppe führt also stets nur nach oben. Kein Raumfahrer ist sie jemals wieder heruntergegangen.»

Er wisse noch gut, wie er vor zehn Jahren zum ersten Mal in der Kapsel gesessen habe und alle Möglichkeiten durchgegangen sei. «Man befindet sich in den Tagen vor dem Start in einer Endlosschleife. Kann ich das alles? Und was, wenn nicht? Was muss ich mir vorher noch mal anschauen? Es heißt ja immer 'Mut zur Lücke'», sagt Gerst und lacht. «Das mag bei einer Prüfung eine gute Strategie sein, aber bei einem Weltraumflug sicher nicht.»

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