Tonya ist fürs Studium nach Deutschland gezogen – und verrät, was sie hier seltsam findet

Tonya ist mit 20 Jahren von Belarus nach Deutschland gekommen. Auf Social Media spricht sie über ihre Erlebnisse.

Im Sommer letzten Jahres konnte Tonya nicht mehr ignorieren, dass sie sich wie eine Deutsche verhält: "Slowly but surely I’m germanizing: hiked 30 minutes one way under 30 degrees to get to a park", schrieb sie auf Instagram. Spazierengehen – so wichtig!

In einem anderen Posting zählt sie auf, was ihre Fehler als Neuling in Deutschland waren: die Rundfunkgebühren nicht zu bezahlen, ein Bankkonto mit schlechtem Deutsch eröffnen zu wollen, viel zu viel Geld fürs mobile Internet zu blechen.

Tonya kommt aus Belarus, seit anderthalb Jahren studiert sie in Deutschland. Auf Instagram als @gravity_tonya und Tiktok versorgt sie andere Studierende aus dem Ausland und jene, die auch darüber nachdenken, in Deutschland zur Uni zu gehen, mit ihren Eindrücken und Tipps.

Im Interview mit watson spricht die 22-Jährige über Klischees, beleuchtet den deutschen Humor und erklärt, warum sie über die Deutsche Bahn lacht.

watson: Tonya, warum wolltest du in Deutschland studieren?

Tonya: Ich hatte immer im Hinterkopf, irgendwo in der EU zur Uni zu gehen, weil das Bildungsniveau einfach hoch ist. Außerdem hat meine Mutter als junge Frau auch mal eine Zeit in Deutschland gearbeitet und ist heute noch davon beeindruckt. Ich glaube, unterbewusst hat sie mir den Floh ins Ohr gesetzt. Hinzu kommt: Deutschland hat gute Universitäten und ein Bildungssystem, das man sich auch leisten kann. Warum also nicht?

Viele junge Leute wollen nach Berlin, Hamburg, München. Du studierst in Mönchengladbach.

Ja. Aus ganz pragmatischen Gründen: Ich spreche Deutsch, aber ich fühle mich mit Englisch deutlich wohler. Ich habe einen Marketing-Bachelor gesucht, bei dem das möglich ist. Und der einzige Studiengang auf Englisch, der zu mir passte, war der an der Hochschule Niederrhein. Und ich finde es gut hier. Klar, Mönchengladbach ist ein bisschen klein, aber das Rheinland ist groß und man ist ja auch schnell in vielen anderen Städten.

"Meinen größten Kulturschock habe ich erlebt, als ich feststellen musste, dass sonntags hier alles geschlossen ist."

Was war das Erste, was dich verwirrt hat, als du in Deutschland angekommen bist?

Meinen größten Kulturschock habe ich erlebt, als ich feststellen musste, dass sonntags hier alles geschlossen ist. Das habe ich gar nicht kapiert. Und dann habe ich die Deutsche Bahn kennengelernt.

War gut?

(Lacht.) Ich finde, dass die Deutsche Bahn was Humoristisches ausstrahlt. Jede, jede, jede Person in diesem Land ist immer pünktlich. Also erwartest du, dass das bei Zügen ja wohl auch funktionieren wird.

Und was sind die positiven Beobachtungen?

Ich mag sehr, dass es hier niemanden interessiert, was du machst. Das meine ich total positiv. Du kannst sein, wer du bist in Deutschland. Das hat mir sehr geholfen beim Ankommen. Wenn du nach 20 Jahren ein Land verlässt, in dem du aufgewachsen bist, bildest du dir nach dem Umzug irgendwie auch eine neue Identität. Und ich musste mich dafür in Deutschland nicht verstellen.

"Was ich so gar nicht kannte, war die klare Trennung von beruflichem und privatem Leben."

Du findest, man wird in Deutschland akzeptiert, wie man ist?

Ich würde sagen: Die Deutschen akzeptieren mich zumindest nicht nicht. Das Einzige, was ich festgestellt habe, ist, dass es echt schwer ist, Deutsche kennenzulernen oder gar deutsche Freund:innen zu finden. Aber mittlerweile habe ich es verstanden. Es ist einfach ein kultureller Unterschied. Hier dauert es, bis man eine echte Verbindung aufbaut. Das liegt nicht an meiner Herkunft oder meinem Aussehen oder woran auch immer. So funktioniert hier halt die Gesellschaft.

Womit haben dich die Deutschen noch überrascht?

Was ich so gar nicht kannte, war die klare Trennung von beruflichem und privatem Leben. In Belarus und auch in den Nachbarländern gibst du dich an der Uni oder im Büro genauso wie privat. Klar, du teilst im beruflichen Umfeld weniger persönliche Informationen, aber du verhältst dich genau gleich.

Gibt's etwas, was Deutsche so gar nicht können?

Sie behaupten alle, dass ihr Englisch nicht gut ist. Entschuldigen sich, dass sie die Sprache nicht sprechen. Genau wie du zu Beginn unseres Gesprächs. Und dann machst du den Mund auf und sprichst derart fließend Englisch, dass ich mich wundere, was du für ein Problem hast. (Lacht.) Darüber muss ich echt oft lachen. Wo auch immer dieses Understatement herkommt.

"Dass man hier wirklich Dinge per Post verschicken muss und nicht einfach per E-Mail senden kann, das finde ich verrückt."

Man sagt uns Deutschen ja oft nach, dass wir zu wenig Humor haben. Wie fallen die Reaktionen auf deine Videos aus?

Manche fühlen sich schon angegriffen. Aber die meisten verstehen, dass ich nur Witze mache, dass man das nicht wörtlich nehmen sollte. Grundsätzlich passt der deutsche Humor aber gut zu meinem. Deutsche sind oft sarkastisch und direkt. Das bin ich auch.

Und mit welcher Eigenschaft passt du nicht nach Deutschland?

Ich habe in jedem Fall gelernt, dass ich zu wenig Geduld habe.

Wird's besser?

Ich glaube schon. Man lernt ja auch dazu. Ein Beispiel: Die fehlende Digitalisierung in Deutschland treibt mich manchmal in den Wahnsinn. Dass man hier wirklich Dinge per Post verschicken muss und nicht einfach per E-Mail senden kann, das finde ich verrückt. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass ich schon Momente hatte, in denen ich mir dachte: Vielleicht gibt's Gründe für manche Regeln. Und wenn sich an die jede:r hält, bekommt man irgendwann gute Ergebnisse. Deutschland ist nicht perfekt, aber viele Dinge funktionieren halt schon sehr gut.

Meldung

Du bist auch schon ein wenig durch Deutschland gereist. Wo gefällt's dir am besten?

Ich finde Hannover schön, muss ich sagen ...

Entschuldigung, aber: Hannover?

Ja! Es ist eine große Stadt, die sich aber wie eine Kleinstadt anfühlt. Ich habe mir NRW angeschaut. Ich war viermal in Berlin und viermal war es völlig unterschiedlich, Berlin ist schon verrückt. Aber die Stadt, die ich am schönsten fand, war Dresden.

Würdest du anderen jungen Menschen empfehlen, in Deutschland zu studieren?

Auf jeden Fall. Ich würde den Leuten aber auch sagen, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass es schwierig ist. Nicht wegen Deutschland. Der Schritt ist echt groß. Man braucht Geduld und muss sich reinfinden. Es macht schon was mit der Mental Health, wenn man plötzlich die Fremde ist. Ich kann mir vorstellen, lange in Deutschland zu bleiben. Vielleicht ziehe ich noch mal in eine andere Stadt.