Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Mit Macron hat erstmals der Staatschef eines führenden Nato-Staats den Einsatz westlicher Waffen gegen Stellungen in Russland so deutlich in der Öffentlichkeit befürwortet. Michael Kappeler/dpa

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will der Ukraine erlauben, militärische Stellungen auf russischem Territorium mit westlichen Waffen anzugreifen. «Wir denken, dass wir ihnen erlauben sollten, die Militärstandorte, von denen aus die Raketen abgefeuert werden, und im Grunde genommen die militärischen Standorte, von denen aus die Ukraine angegriffen wird, zu neutralisieren», sagte Macron nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Schloss Meseberg bei Berlin. Er stellte jedoch klar: «Wir sollten nicht erlauben, andere Ziele in Russland zu treffen, zivile Kapazitäten natürlich oder andere militärische Ziele.»

Erstmals hat damit der Staatschef eines führenden Nato-Staats den Einsatz westlicher Waffen gegen Stellungen in Russland so deutlich in der Öffentlichkeit befürwortet. Zuletzt hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Druck erhöht, bestehende Beschränkungen aufzuheben.

Scholz äußerte sich weniger klar als Macron zu der Frage, ließ aber durchblicken, dass er keine rechtlichen Einwände gegen ein solches Vorgehen hätte. Die Ukraine habe völkerrechtlich alle Möglichkeiten für das, was sie gegen die russischen Angreifer tue. «Sie ist angegriffen und darf sich verteidigen», sagte der Kanzler. Für die Nutzung der von den USA, Frankreich oder Deutschland gelieferten Waffen gebe es Regelungen, «die besagen, dass das sich immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss. Das ist das, was wir vereinbart haben, das hat bisher praktisch gut funktioniert und wird es auch sicher.»

Das Völkerrecht erlaubt es angegriffenen Staaten nach Ansicht von Experten, Aggressoren auch auf deren eigenem Territorium zu attackieren, um sich zu verteidigen. Woher die Waffen dafür stammen, ist dabei rechtlich gesehen nicht relevant.

Putin droht Europa mit Konsequenzen

Russlands Präsident Wladimir Putin drohte Europa mit «ernsten Folgen», sollte die Ukraine die gelieferten westlichen Präzisionswaffen mit großer Reichweite künftig gegen russisches Staatsgebiet einsetzen dürfen. «Diese Vertreter der Nato, besonders in Europa und speziell in den kleinen Ländern, sollten sich darüber im Klaren sein, womit sie spielen», sagte Putin in der usbekischen Hauptstadt Taschkent zum Abschluss seines Staatsbesuchs. Er deutete die Möglichkeit militärischer Gegenschläge an.

Putin hat vor mehr als zwei Jahren den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, wirft dem Westen aber selbst fortwährende Eskalation vor. Moderne Waffensysteme wie der Raketenkomplex ATACMS würden nicht von ukrainischen Soldaten, sondern von hoch qualifizierten Nato-Spezialisten auf Basis von Daten aus der Satellitenaufklärung gelenkt, behauptete der Kremlchef. Die Waffen zielen bisher vor allem auf von Russland besetztes ukrainisches Gebiet.

Die Ukraine fordert die Erlaubnis der USA und anderer westlicher Staaten, schlagkräftige Raketen mit größerer Reichweite und Marschflugkörper für Angriffe auf Russland zu nutzen, um den Gegner effektiver zu bekämpfen. Bisher nutzt Kiew für diese Angriffe vor allem Drohnen und Raketen aus eigener Produktion. Bislang kann das russische Militär praktisch ungestört Einheiten hinter der Grenze für neue Angriffe auf ukrainisches Gebiet zusammenziehen oder von sicherer Stellung aus mit Flugzeugen grenznahe Städte wie Charkiw bombardieren.

Nach Darstellung Putins liefe eine solche Erlaubnis westlicher Staaten auf eine direkte Konfrontation Russlands mit dem Westen hinaus. Der 71-Jährige verwies in dem Zusammenhang einmal mehr auf die strategischen Atomwaffen Russlands. Schon mehrfach hat die russische Führung seit Beginn des Kriegs mit den Nuklearwaffen gedroht, um den Westen von einer stärkeren Unterstützung für die Ukraine abzuhalten.

Plan zur französischen Militärausbildung in Arbeit

Macron wurde auch in einer anderen Frage recht deutlich, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Zur Frage einer möglichen Entsendung französischer Militärausbilder in die Ukraine wolle er in der kommenden Woche einen Plan vorlegen - nämlich beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 6. Juni in der Normandie zum Gedenken an die alliierte Landungsoperation im Zweiten Weltkrieg. Er werde sich zu diesem Zeitpunkt «sehr genau äußern, um anzukündigen, was wir tun werden».

Bereits im Februar hatte Macron das Entsenden von Bodentruppen in die Ukraine ins Spiel gebracht und später konkretisiert, dass damit keine Kampftruppen gemeint seien. Scholz hatte einem solchen Schritt eine klare Absage erteilt.

Unterstützung für die Ukraine aus Portugal und Tschechien

Portugal hat der Ukraine für ihren Kampf gegen die russischen Angreifer für dieses Jahr Militärhilfe in Höhe von 126 Millionen Euro zugesichert. Das sei Teil des bilateralen Kooperations- und Sicherheitsabkommens, das er in Lissabon mit Selenskyj unterzeichnet habe, sagte der portugiesische Ministerpräsident Luís Montenegro auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Das Abkommen habe eine zehnjährige Laufzeit.

Ähnliche - allerdings deutlich höher dotierte - Abkommen hatte Selenskyj mit Spanien und Belgien unterzeichnet. Inzwischen hat die Ukraine mehr als ein Dutzend solcher Abkommen geschlossen. Länder wie Großbritannien, Deutschland und Frankreich machten im Januar und Februar den Anfang. Russland tut die Vereinbarungen als unkonkrete symbolische Gesten ab.

Selenskyj: Brauchen Luftabwehr «wie Wasser in der Wüste»

Selenskyj bezeichnete die in dieser Woche mit den drei EU-Ländern unterzeichneten Abkommen hingegen als «sehr wichtig». Es gehe aber «nicht nur um Geld», betonte er in Lissabon. «Diese Zehn-Jahres-Abkommen bedeuten nicht, dass der Krieg noch zehn Jahre lang weitergehen wird. Es sind strategische Abkommen, die die Modernisierung und den Wiederaufbau der Ukraine sowie humanitäre Hilfe umfassen.» Aktuell benötige sein Land vor allem Hilfe bei der Luftabwehr, also Raketen, Drohnen und Informationssysteme. Das alles benötige die Ukraine so dringend «wie Wasser in der Wüste», sagte er.

Die Lage für die ukrainischen Truppen an der Front gilt als schwierig. Eine tschechische Initiative machte Hoffnung auf baldigen Nachschub an Artilleriemunition. Die erste Lieferung soll im Juni eintreffen. Spitzenpolitiker aus fünf europäischen Nato-Staaten bekräftigten bei einem Treffen mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal in Prag ihre Unterstützung. Hauptthema bei einem gemeinsamen Arbeitsessen war die tschechische Initiative zur Beschaffung von bis zu 800.000 Artilleriegranaten aus Staaten außerhalb der EU.

Die Ukraine könne in den nächsten Tagen mit einer ersten Lieferung rechnen, die aus Zehntausenden 155-Millimeter-Granaten bestehe, sagte der tschechische Regierungschef Petr Fiala. Insgesamt hätten inzwischen 15 EU- und Nato-Staaten rund 1,6 Milliarden Euro für das Vorhaben zugesagt - darunter auch Deutschland.

Schweden sichert Ukraine bisher größtes Militärhilfspaket zu

Schweden hat der Ukraine ihr bisher größtes Militärhilfspaket von 13,3 Milliarden schwedischen Kronen (rund 1,16 Milliarden Euro) zugesagt. Damit soll insbesondere die gesamte Luftverteidigung der Ukraine gestärkt werden, wie die schwedische Regierung mitteilte. Das Paket umfasst unter anderem Flugzeuge und gepanzerte Mannschaftstransporter.

«Die Ukraine braucht dringend eine Stärkung ihrer Luftverteidigung», sagte der schwedische Verteidigungsminister Pål Jonson bei einer Pressekonferenz. Das Paket ist das 16. aus Schweden und etwa doppelt so groß wie das Letzte. Im Rahmen des Pakets wird Schweden zwei Radaraufklärungs- und Führungsflugzeuge des Typs ASC 890 zur Verfügung stellen. Laut Verteidigungsminister Jonson haben diese derzeit «die größte Auswirkung auf die ukrainische Luftverteidigung», da sie die zugesagten Spenden von US-Kampfjets vom Typ F-16 ergänzen und verstärken werden. Die Flugzeuge sollen schrittweise eingeführt werden, sobald die Ukraine ebenfalls F-16-Kampfflugzeuge erhält.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich auf X bei Schweden und erklärte, die Unterstützung sei entscheidend für die Verteidigung und Widerstandsfähigkeit der Ukraine. «Es ist auch wichtig, dass die schwedische Hilfe nicht nur ukrainische Leben rettet, sondern auch dazu beiträgt, langfristig Frieden und Sicherheit in Europa zu gewährleisten», schrieb er. «Gemeinsam werden wir unsere gemeinsamen Werte verteidigen und sicherstellen, dass der Angreifer zur Rechenschaft gezogen wird.»

Moskau wirft Kiew Sabotage von Gefangenenaustauschen vor

Russland wirft der Ukraine vor, den Austausch von Kriegsgefangenen zu sabotieren. «Leider ist der Austausch mit der Ukraine, die ständig neue vorgeschobene Forderungen stellt, seit ein paar Monaten gestoppt», sagte die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa bei einer Sitzung des Parlaments, der Staatsduma. Immerhin würden die Menschenrechtsbeauftragten beider Länder weiterhin täglich Kriegsgefangene der Gegenseite besuchen, um die Einhaltung von deren Rechte zu überwachen.

Moskalkowa machte keine näheren Angaben zu den angeblichen Forderungen Kiews. Zuvor hatte schon die Chefredakteurin des Staatssenders RT, Margarita Simonjan, eine Liste von 500 gefangenen ukrainischen Soldaten veröffentlicht. Sie behauptete, dass Kiew aus dieser Liste nur 38 Kämpfer des nationalistischen Regiments Asow für die Austauschliste ausgewählt und den Rest zurückgewiesen habe. Beweise für ihre Aussage brachte sie nicht.

© Deutsche Presse-Agentur GmbH