Arbeiten im Hospiz: Pflegerin erklärt, was sie dabei über das Sterben lernte

Das Hospiz in dem Sophia Hansen arbeitet, steht nahe der Reeperbahn und dem Millerntor auf St. Pauli in Hamburg.

Wer auf der Reeperbahn feiert, kommt nicht auf die Idee, dass nur etwa vier Gehminuten vom prallen Leben entfernt ein Haus existiert, in dem bis zu elf Menschen palliativ versorgt werden: das Hamburg Leuchtfeuer Hospiz auf St. Pauli, welches ursprünglich in den 90er-Jahren aus der Aidshilfe entstand.

In einer Gesellschaft, in der das Sterben zumeist hinter verschlossenen Türen stattfindet, scheint es befremdlich, in einem solchen Umfeld Tag für Tag zu arbeiten. Nicht für Sophia Hansen.

Die 34-Jährige ist seit 2011 in der Pflege. Seit dreieinhalb Jahren arbeitet sie im Hospiz von Hamburg Leuchtfeuer und sprach mit uns über Schichtdienste, Toleranz und Tod.

Sophia Hansen

Watson: Warum hast du dich dafür entschieden, die Ausbildung zur Pflegerin zu machen?

Sophia Hansen: Ich wusste nach der Schule nicht, was ich machen wollte. Dann hat eine Dame beim Arbeitsamt mich gefragt, ob ich nicht einen Pflegeassistenzkurs besuchen möchte. Das hat mir wirklich Spaß gemacht. Ich begann meine dreijährige Ausbildung als Altenpflegerin.

Was hat dir Spaß gemacht?

Ich kann anderen Menschen Lebensqualität schenken und selbst viele unterschiedliche Leute kennenlernen. Für mich ist das Arbeit, die Sinn gibt.

"Es hilft, anzuerkennen, dass Kranksein und Sterben etwas ganz Normales sind."

Menschen können schwierig werden, wenn sie Schmerzen haben. Wie erlebst du das?

Es gibt schon immer mal wieder Menschen, an denen man sich ein wenig die Zähne ausbeißt. Allerdings freut es mich dann auch besonders, wenn ich diesen Leuten ein Lächeln entlocke. Es ist sehr individuell, wie Menschen mit Schmerzen und Krankheiten umgehen.

Wie hast du gelernt, damit umzugehen, dass du Menschen sterben siehst?

Ich mache mir immer wieder klar, dass das nicht meine Angehörigen und Freund:innen sind. Sich wenn nötig auch mal abzugrenzen zu können, nicht alles mit nach Hause zu nehmen, ist unheimlich wichtig. Das muss man lernen und das klappt auch meist gut. Es hilft, anzuerkennen, dass Kranksein und Sterben etwas ganz Normales sind. Das gehört zwangsläufig zu jedem Leben.

Hat deine Arbeit deinen Umgang mit Krankheit und Tod verändert?

Auf jeden Fall. Was ich gemerkt habe, dass mir materielle Sachen nicht mehr so wichtig sind. Dass ich meine eigenen Vorstellungen vom Leben hinterfrage, dass ich viel entspannter mit vielen Sachen im Leben umgehe, mich weniger stresse. Denn eigentlich ist nur wichtig, dass man gesund ist und mit vertrauten Menschen zusammen ist, dass man Zeit hat.

Was sind Herausforderungen?

Die eigenen Ansprüche. Ich möchte die Menschen nicht nur grundversorgen, sondern auch darüber hinaus Zeit für ein Gespräch oder einen Spaziergang im Freien aufbringen. Das klappt oft, hängt aber auch immer von der zur Verfügung stehenden Zeit und der aktuellen allgemeinen Situation bei uns im Haus ab. Deswegen freuen wir uns auch, wenn die vielen Ehrenamtlichen zu uns ins Haus kommen und uns unterstützen.

Und körperlich? Ist der Job sehr anstrengend?

In meiner Ausbildung war ich häufig allein unterwegs. Wenn ich da viele Dienste am Stück hatte, bin ich oft mit Rückenschmerzen nach Hause. Im Hospiz haben wir aber nur elf Betten und schauen, dass wir immer zu zweit oder zu dritt schwere Hebungen machen oder Hilfsmittel benützen. Wir haben auch Kinästhetik-Kurse und lernen, die Bewohner:innen so zu bewegen, dass es für uns einfacher wird.

"Jemanden zu versorgen, bis er verstirbt und zu sehen, dass dieser Mensch (...) ein gutes Ende für sich gefunden hat, finde ich durchaus schön."

Arbeitest du Vollzeit? Im Schichtdienst?

Ich arbeite Teilzeit, dreißig Stunden in der Woche und habe zwei Kinder. Ich mache Frühdienst, Spätdienst und Nachtdienst. Wenn ich viele Wechsel an Schichten habe, steckt mir das manchmal in den Knochen und es kann schade sein, zu Feiertagen auf der Arbeit zu stehen. Aber andererseits weiß ich es auch zu schätzen, dass ich dafür auch mal unter der Woche freihabe.

Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?

Die Schichten beginnen und enden immer mit einer Übergabe, in der die Kolleg:innen berichten, was bislang im Haus passiert ist. Im Frühdienst schaut man zuerst, was an Medikamenten morgens gestellt werden muss. Man macht die erste Runde: Wie geht es den Menschen? Was brauchen die Bewohner:innen? Wenn die nächste Schicht kommt, die von acht bis 16 Uhr arbeitet, pflegen wir die Bewohner:innen und versorgen sie medizinisch, wechseln zum Beispiel Verbände, versuchen, Gespräche zu führen. Alles, was passiert, muss dokumentiert werden, daher sitzt man auch immer mal am Computer. Zusätzlich steht man im Austausch mit vielen weiteren Menschen, etwa mit Ärzt:innen, Therapeut:innen oder den Zugehörigen.

"In der Pflege muss man Menschen mögen und andere Lebensentwürfe und Haltungen tolerieren können."

Wenn eine:r der Bewohner:innen schwierig im Umgang ist. Was dann?

Ich habe gelernt, das nicht persönlich zu nehmen. Wenn es mir schlecht geht, bin ich ja auch motzig. Wenn es wirklich nicht passt, muss man im Team offen sagen: "Ich kann zu Herrn XY nicht mehr gehen, das passt nicht zwischen uns." Dann wird, wenn möglich, getauscht. Bei wirklich schweren Fällen, Menschen, die uns alle an die Grenze bringen, haben wir Fallbesprechungen, um eine Strategie zu finden. Wir suchen in erster Linie nach Erklärungen für das Verhalten: Warum ist die Person so schlecht gelaunt? Hat sie Schmerzen, die wir noch nicht auf dem Schirm haben? Oder gibt es familiäre Sorgen?

Was sind für dich die schönsten Momente?

Wenn eine Betreuung gut gelaufen ist und ein Mensch wieder fitter wird, ist das Belohnung pur. Das kam im ambulanten Pflegedienst natürlich häufiger vor als im Hospiz. Aber auch jemanden zu versorgen, bis er verstirbt und zu sehen, dass dieser Mensch zusammen mit seinen Zugehörigen zufrieden war und ein gutes Ende für sich gefunden hat, finde ich durchaus schön.

Gewöhnt man sich daran, fremde Menschen zu waschen? Einige schreckt die Vorstellung ab.

Für mich war das auch am Anfang nicht einfach, einem fremden Menschen in diesem intimen Moment so nahezukommen. Für mich ist Waschen heute aber auch ganz viel Beobachtung, man steht im Kontakt mit den Personen: Sind Wunden vorhanden oder Hautirritationen? Wie bewegt sich dieser Mensch, wie viel kann er noch allein, was verschlechtert sich? Der Blick ist viel fachlicher geworden über die Jahre und damit sind viele Hemmungen gefallen.

Und andere Aspekte der Körperhygiene?

Als ich die Ausbildung begann, war das schon schwierig. (lacht) Ich weiß noch, dass ich die ersten vier Monate kaum auf der Arbeit essen konnte, weil ich die Gerüche drumherum nicht ertrug. Und die Kolleginnen saßen daneben, aßen und sprachen dabei über Ausscheidungen. Aber ich habe mich wirklich daran gewöhnt.

Würdest du sagen, Pfleger:in ist ein Job mit Zukunft?

Auf jeden Fall. Denn die demografische Entwicklung zeigt ja, dass geburtenstarke Jahrgänge jetzt pflegebedürftig werden – da kommt einiges auf uns zu. Es ist und bleibt ein sinnvoller Job, aber der Beruf wird sicher auch härter und anstrengender werden. Es fehlt vielerorts an Geld und Fachkräften.

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Welche Menschen sind besonders geeignet?

Man muss auf jeden Fall empathisch sein, aber auch nicht so sensibel, dass man sich nicht abgrenzen kann. Körperlich sollte man fit sein. Auch die Fähigkeit, in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren und vernünftig zu handeln, ist eine wichtige Eigenschaft. Das nötige Fachwissen ist natürlich ebenfalls ganz wichtig. Und zuletzt: In der Pflege muss man Menschen mögen und andere Lebensentwürfe und Haltungen tolerieren können, auch wenn sie einem gegen den Strich gehen. Die Menschen, mit denen man zu tun hat, sind sehr verschieden und das ist okay. Eigene Meinungen müssen da auch mal zurückstehen. Vielleicht lernt man dann sogar noch die eine oder andere Perspektive dazu.