Mexikos erste Präsidentin Claudia Sheinbaum: "Jetzt ist die Zeit der Frauen"

Claudia Sheinbaum wird als erste Frau das Präsidentschaftsamt in Mexiko ausüben.

Mit ruhiger Stimme spricht die große Brünette auf einer Bühne vor ihrer Wählerschaft. Zwischendurch gönnt sie sich einen Schluck Wasser. Sie wirkt geschafft und müde, aber glücklich, mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

Claudia Sheinbaum darf sich als erste Präsidentin Mexikos bezeichnen und schreibt Geschichte. Als Favoritin entscheidet die 61-Jährige die Wahl mit großem Vorsprung für sich und ihre sozialdemokratische Partei "Movimiento Regeneración Nacional".

Es ist eine Wahl, die lebensgefährlich ist.

Bei der Mexiko-Wahl verloren zahlreiche Kandidaten ihr Leben

Drei Monate lang führt Sheinbaum Wahlkampf in Mexiko, der von massiver Gewalt überschatten ist. In der Nacht zum Sonntag erschießen Unbekannte im westlichen Bundesstaat Michoacán den 35-jährigen Politiker Israël Delgado. Mindestens 25 weitere Politiker:innen waren in den Monaten zuvor ermordet worden. Und auch zum Schutz der Wählerschaft sind tausende Soldat:innen im Einsatz.

Die traurige Realität: In der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas ist Gewalt nach wie vor an der Tagesordnung – vor allem gegen Frauen. Etwa zehn von ihnen werden täglich in Mexiko ermordet.

Claudia Sheinbaum hält eine Rede als neue Präsidentin von Mexiko.

Nun steht zum ersten Mal in der 200-jährigen Geschichte der Republik eine Frau an der Spitze des Landes.

Mexiko: Claudia Sheinbaum sagt Gewalt gegen Frauen den Kampf an

"Eine Frau als Präsidentin bedeutet eine Veränderung. Hoffen wir, dass sie mehr für dieses Land tun wird", sagt die 55-jährige Wählerin Clemencia Hernández der afp.

Die Hoffnung in die frühere Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt ist hoch: Sheinbaum lag in allen Umfragen deutlich vor ihrer stärksten Rivalin, der Mitte-Rechts-Kandidatin Gálvez, die für ein Bündnis aus drei Oppositionsparteien antrat.

Am Wahltag gab Sheinbaum allerdings ihre Stimmen nicht für sich selber ab, sondern für eine 93-jährige linke Politikveteranin, Ifigenia Martínez, in Anerkennung ihres politischen Engagements. "Lang lebe die Demokratie!", rief sie, nachdem sie den Stimmzettel in die Urne geworfen hatte.

"Jetzt ist die Zeit der Frauen und der Veränderung", verkündet Sheinbaum.

Bisher kannte man die Physikerin als rechte Hand des scheidenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. Jetzt muss Sheinbaum beweisen, dass sie aus dem Schatten ihres politischen Mentors hervorsticht.

Andrés Manuel López Obrador (li.) gibt das Amt an die Parteikollegin Sheinbaum (re.) ab.

Bisher wirkte sie eher zurückhaltend, beinahe scheu. Einige Medien werfen ihr Desinteresse oder Arroganz vor. Es könnte aber auch Introvertiertheit sein. Ein großer Kontrast zu dem sonst herrschenden Macho-Gehabe in der mexikanischen Politik – oder weltweit; denkt man an Donald Trump oder den extrovertierten Präsidenten von Argentinien, Javier Milei, der mit einer Kettensäge die Stimmung aufheizt.

Sheinbaum wirkt besonnen, in sich ruhend und doch präsent. Über ihr Privatleben gibt sie nicht viel preis. So wissen nur wenige, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt.

Claudia Sheinbaum: Ihre Familie floh vor den Nazis nach Mexiko

Laut Associated Press flohen die Großeltern von Sheinbaum als Juden und Jüdinnen in den 1930ern vor den Nazis aus Osteuropa nach Mexiko. Die Politikerin wurde in Mexiko-Stadt geboren. Ihre Eltern – ein Chemieingenieur und eine Biologin – erzogen sie nicht religiös.

Nach Angaben ihres Wahlkampfteams betrachtet sich Sheinbaum als gläubige Frau, ist aber nicht religiös gebunden.

Weiter heißt es, dass derzeit etwa 50.000 Juden und Jüdinnen in Mexiko leben, die meisten davon in Mexiko-Stadt und Umgebung. Einen besonders guten Draht zu Sheinbaum haben sie allerdings nicht. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde begrüßen zwar den Austausch mit der Politikerin, betrachten sie aber nicht als eine von ihnen; auch weil die frisch gewählte Präsidentin selbst eine solche Verbindung ablehne.

Was Sheinbaum am Herzen liegt, ist das Soziale und der Kampf gegen die Armut. Dabei warfen Kritiker:innen ihr ein elitäres Leben vor, ohne Berührungspunkte zu dem "einfachen Volk" zu haben.

Der Grund: Sheinbaum wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus auf, lernte Gitarre spielen und studierte Ballett. Doch sie verschloss ihre Augen nicht vor den Problemen im Land.

Sheinbaum will Armut in Mexiko bekämpfen

Mit 15 Jahren half Sheinbaum freiwillig Müttern bei der Suche nach ihren vermissten Kindern – ein seit Langem bestehendes Problem in einem Land mit einer Geschichte grassierender Bandenkriminalität. Später als Studentin nahm sie an erfolgreichen Campus-Protesten gegen die Einführung einer Studiengebühr in den 1980er Jahren teil.

Aus einer jungen Aktivistin wurde schließlich eine Politikerin, die sich der Not der Menschen widmet.

Im Wahlkampf betonte Sheinbaum immer wieder, dass sie Millionen Mexikaner:innen durch die Anhebung des Mindestlohns und der Renten sowie den Ausbau von Sozialprogrammen aus der Armut befreien will. Auch wolle sie mehr Geld in die Bildung und Gesundheit stecken.

Volksnähe pur: Eine Anhängerin drückt Claudia Sheinbaum einen Kuss auf.

In den Vordergrund stellt sie auch hier die Frauen.

"Mein ganzes Leben lang habe ich für Gerechtigkeit in Mexiko gekämpft."
\- Präsidentin Mexikos, Claudia Sheinbaum -

So sollen vor allem die Renten von Mexikanerinnen überdurchschnittlich steigen und Schwangeren verspricht sie mehr Unterstützung. Der Gewalt gegen Frauen sagt Sheinbaum den Kampf an. Zudem setzt sie sich für LGBTQIA+-Rechte in Mexiko ein.

Auf ihrem Instagram-Account posiert sie etwa mit einer "Progress Flagge". Sie symbolisiert, dass noch einiges an Fortschritt vor uns liegt und setzt ein besonderes Augenmerk auf trans* Menschen, Schwarze und andere Personen of Color.

Wie die mexikanische Politikerin all ihre Vorhaben umsetzen und finanzieren will, lässt sie laut Medienberichten dennoch offen.

Allerdings ist klar: Sheinbaums Herz schlägt nicht nur für die Politik. Laut eigener Aussage hat sie durch ihre Eltern auch eine Leidenschaft für die Naturwissenschaften.

Als Klimawissenschaftlerin will Sheinbaum die Natur schützen

"Ich bin mit dieser Dualität aufgewachsen – mit der Überzeugung, dass Politik die Welt verändern kann, und mit einer akademischen und wissenschaftlichen Denkweise", zitiert Reuters Sheinbaum. Als Physikerin und Klimawissenschaftlerin sehe sie sich als Verteidigerin des Staates und wolle etwa die öffentliche Kontrolle über die natürlichen Ressourcen festigen. Auch setzt sie sich für die Nutzung Erneuerbarer Energien ein.

"Ich bin ein Teil von all dem", sagt sie laut "Financial Times". Sie sei mit den sozialen Bewegungen aufgewachsen. Ihre Eltern und ihre eigene Karriere haben sie demnach vielfältig geprägt. "Mein ganzes Leben lang habe ich für Gerechtigkeit in Mexiko gekämpft", sagt sie über sich selbst.

Luis Rubio, Vorsitzender des unabhängigen Think-Tanks México Evalua, warnt gegenüber "Financial Times": "Sheinbaum hat sich als effiziente Verwalterin erwiesen, aber auch als autoritär und intolerant. Was die Wirtschaft betrifft, so lautet ihre Philosophie, dass die Regierung entscheidet und die Unternehmen folgen."

Ein Berater von Sheinbaum bestreitet den Vorwurf. Seiner Meinung nach enge Sheinbaum die Wirtschaft nicht mit ihrer Ideologie ein, sondern führe sie so, dass sie für das Land funktioniere. "Sie ist eine schüchterne Person, daher mag sie ernst wirken, aber sie hat eine erstaunliche menschliche Note."

Im Wahlkampf zeigte sich Sheinbaum als investorfreundliche Kandidatin, die auf Mexikos privilegiertem Handelszugang zu den USA aufbauen und die Wirtschaft wachsen lassen will.

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Sheinbaum soll das Amt am 1. Oktober antreten. Der oder die Staats- und Regierungschef:in wird in Mexiko für sechs Jahre gewählt, begrenzt auf eine Amtszeit.

Fast 100 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, über das Präsidentenamt, beide Kammern des Kongresses sowie zahlreiche regionale und kommunale Posten abzustimmen. Es war der größte Wahltag in der Geschichte des Landes.

(Mit Material der afp)