Amazonas-Stamm bekommt Internet – jetzt klagen Mitglieder über Porno-Sucht

Die Marubo leben im Becken des Rio Javari im Amazonas.

Der Kontakt zwischen indigenen Stämmen und der westlichen Zivilisation hat schon immer eine Vielzahl komplizierter Herausforderungen mit sich gebracht. Diese Begegnungen, die bei uns oftmals als Brücke zwischen zwei Welten betrachtet werden, sind in Wirklichkeit häufig von Konflikten und Problemen geprägt.

Ein zentrales Problem ist die Verbreitung von Krankheiten. Viele indigene Völker leben isoliert und haben keine natürliche Immunität gegen Krankheiten, die in der westlichen Welt verbreitet sind.

Neben gesundheitlichen Problemen kämpfen indigene Stämme oft auch mit den sozialen Folgen des Kontakts. Alkohol- und Drogenmissbrauch, sowie Suchterkrankungen sind in vielen Gemeinschaften zu einem ernsten Problem geworden. Die Substanzen wurden oft von außen in die indigenen Gebiete gebracht und haben verheerende Auswirkungen auf das soziale Gefüge und die kulturelle Integrität der Menschen.

Schon die Corona-Pandemie intensivierte den Kontakt der Marubo mit der Außenwelt.

So hat es sich nun auch bei dem indigenen Stamm der Marubo, die im brasilianischen Amazonas leben, gezeigt. Ein knappes Jahr nach dem Elon Musks Satellitenprogramm Starlink ihnen erstmals Zugang zum Internet ermöglichte, sollen mehrere Mitglieder angeblich eine Sucht nach Social Media und Pornografie entwickelt haben.

Internet-Verbindung sollte Amazonas-Volk helfen

Der Druck der Globalisierung und der westlichen Kultur stellt viele indigene Völker vor die schwierige Aufgabe, ihre Identität und Traditionen zu bewahren. Oft sind es die jüngeren Generationen, die zwischen den Welten stehen und versuchen, einen Weg zu finden, der sowohl ihre kulturellen Wurzeln respektiert als auch den Anforderungen der modernen Welt gerecht wird.

So geht es wohl auch vielen Mitgliedern des 2000 Menschen zählenden Stamms der Marubo, die am Ituí-Fluss in Brasilien leben. Die Marubo leben weitgehend abgeschieden. Bis vor neun Monaten die US-amerikanische Unternehmerin Allyson Reneau die für Elon Musks Starlink-Verbindung nötigen Antennen spendete und die Marubo damit erstmals Zugang zum Internet hatten.

Die Idee dahinter war es, in Notfällen, wie giftigen Schlangenbissen, schneller die Behörden erreichen und Bildungsressourcen mit anderen indigenen Stämmen im Amazonasgebiet austauschen zu können.

Stammesmitglied befürchtet Pornosucht

Tatsächlich hat die Internetverbindung bei den Marubo bereits Leben gerettet, wie das Stammesmitglied Enoque Marubo der "New York Times" berichtete. Auch einer der Stammesältesten, Tsainama Marubo, erzählt, dass zunächst alle glücklich mit dem Starlink-Netz waren: "Aber jetzt sind die Dinge schlimmer geworden. Die jungen Leute sind durch das Internet faul geworden, sie lernen die Sitten der Weißen."

Wie ein anderes Stammesmitglied, Alfredo Marubo, der "New York Times" erzählte, würden viele junge Marubos Pornovideos in Gruppenchats austauschen. Außerdem habe er bei einigen ein "aggressiveres Sexualverhalten" beobachtet. In seinem Volk gelten strenge Regeln bei sexuellen Kontakten, schon Küssen in der Öffentlichkeit ist verpönt.

Das Internet verändert den Alltag der Marubo

Aber auch die Sucht nach Social Media scheint bereits ein Problem bei den Marubo zu sein: "Alle sind so vernetzt, dass manchmal nicht einmal mit der eigenen Familie gesprochen wird", zitiert die "New York Times" Alfredo Marubo. Die Internetsucht kollidiert mit der traditionellen Lebensweise des Volkes: Wer seine Zeit mit Surfen statt jagen, fischen und pflanzen verbringt, hat schlichtweg nichts zu essen.

Ein Vater berichtet der US-amerikanischen Zeitung außerdem von seiner Sorge, seine Kinder könnten gewalttätige Ego-Shooter-Spiele nachahmen wollen. Andere Stammesmitglieder erzählen, sie seien Opfer von Internetbetrügereien geworden, während viele Jugendliche mit Fremden chatten.

Unterschiedliche Urteile zu Situation des Amazonas-Volks

Die Auswirkungen des Internetzugangs für die Marubo sind jedoch auch vielschichtig: Jugendliche Marubos erzählten der "New York Times", dass sie nun Berufe in der Großstadt oder Weltreisen anstrebten. Neben denen, die laut Aussagen ihrer Stammesgenoss:innen den ganzen Nachmittag am Handy verbringen, gibt es wohl aber auch die, die trotz Internetverbindung die alten Traditionen bewahren wollen.

Video: YouTube/Gesellschaft für bedrohte Völker

Es bleibt eine kontroverse Debatte, was indigene Stämme brauchen und vor allem von wem. Während die Anführer der Marubo befürchten, dass durch die Internetsucht der Stammesmitglieder ihre mündlich weitergegebene Geschichte und Kultur verloren gehen könnte, verteidigt die brasilianische Aktivistin Flora Dutra die Satelliten-Spende.

Sie hält die Ängste vor dem Internet für übertrieben und behauptet, dass die meisten Stammesangehörigen den Zugang zum World Wide Web "wollten und verdienten". Wichtig bleibt vor allem, die Autonomie und Selbstbestimmung der indigenen Völker zu respektieren. Bei den Marubo gelten inzwischen mehr oder weniger strenge Internetregeln: Zugang gibt es morgens zwei Stunden, abends fünf Stunden und den ganzen Sonntag.