Scheitern: Oft gefürchtet, niemals gemocht – und doch so gesund?

Wir scheitern nur ungern, aber das sollte sich ändern, findet watson-Autor Mike Kleiß.

Wer bewertet eigentlich, dass wir gescheitert sind? Wer darf überhaupt dazu Stellung beziehen? Ist es nicht etwas sehr Privates? Ist es vielleicht mit das Intimste, was wir haben? Mike Kleiß sagt: Schnauze halten! Das Scheitern gehört nur uns.

Es gibt nicht so richtig viele Dinge, die mich komplett aus der Fassung bringen. Ich stelle fest, dass meine gesunde, hart erarbeitete Teflon-Schicht meist ganz gut funktioniert. Zu lange habe ich die Dinge ungefiltert an mich heran gelassen, gesund war das für meine Mental Health nicht. Was aber noch immer dicke Kratzer ins Teflon ritzt, sind Menschen, die andere bewerten, abwerten, und das auch noch hinter deren Rücken. Meist wird es dann nicht nur bösartig und despektierlich, es ist auch stark übergriffig.

Vor einigen Wochen verabschiedete ich mich aus einer Telefonkonferenz, weil der Geschäftsführer eines recht großen Vereins behauptete, dass sein Co-Geschäftsführer ganz schön gescheitert sei. Nicht erst, seit er im Verein ist, natürlich auch vorher schon. Ein Loser mit Scheiter-DNA.

Verstörend daran ist: Niemand in diesem Meeting kannte diesen Co-Geschäftsführer. Und selbst wenn, hätte ich mich verabschieden müssen. Natürlich hatte die Situation einen starken Mobbing-Geschmack. Und Mobbing ist seit Jahren strafrechtlich relevant.

Das hätte wohl anders laufen sollen. Aber es ist okay, wenn wir scheitern, findet Mike Kleiß.

Beinahe noch schlimmer fand ich die Tatsache, dass wieder einmal der Eindruck vermittelt wurde, dass das Scheitern keine Option ist. Weder im Berufsleben, noch im Privaten. Und zudem erdreistet sich jemand zu (be)urteilen, ob ein Mensch gescheitert ist. Was, wenn der Betroffene selbst das ganz anders empfindet? Etwa als eine Chance wachsen zu dürfen?

Angst vorm Scheitern haben viele, auch 2024 noch

Mir sind esoterische Bücher ein wenig fern. Die Theorien darin muten oft zu flach an, etwa Sätze wie: "Fehler sind gesund" oder "Aus Fehlern gestärkt ins Leben gehen". Ratgeber mit diesem oder einem ähnlichen Sound haben wahrscheinlich vielen Menschen geholfen, mir ist das zu sehr Phrase und Kalenderspruch, was sicher kurzzeitig Halt gibt, aber ob diese Sätze nachhaltig helfen?

Ich finde zudem, das Scheitern ist keine Frage der Sichtweise, es ist eher ein Reinigungsprozess der Seele, um den nächsten Schritt im Leben zu gehen.

Immer wieder kommen wir automatisch an einen Scheideweg.

Das muss nicht unbedingt damit zu tun haben, dass wir einen Fehler gemacht haben. Vielleicht waren wir sehr lange, für unsere Verhältnisse, aus unserer Sicht erfolgreich, und plötzlich funktionierte nichts mehr, aus welchen Gründen auch immer.

Der Job wird gekündigt, das Haus muss verkauft werden, die Beziehung ist am Ende, die Ziellinie beim Marathon konnte nicht erreicht werden, die eigene Firma ist an die Wand gefahren. Ja, und? Wovor haben wir eigentlich Angst? Vor dem Scheitern? Oder eher davor, was die Leute denken könnten? Ist das Scheitern gesellschaftlich auch 2024 noch nichts Legitimes?

Leider nicht.

Wer zum Beispiel Insolvenz anmelden musste, wird feststellen, dass man noch Jahre danach als Gescheiterter registriert ist, zum Beispiel bei der Schufa. Und Dritte beurteilen den Gescheiterten anhand eines Datenblattes. Die Geschichte dahinter interessiert nicht. Die Gründe sind nicht sichtbar, die Ablehnung groß. Auch das ist keine Frage der Sichtweise. Das ist eine Art und Weise aus dem Mittelalter. Daten und Parameter urteilen über Seelen, wie absurd ist das? Da fällt mir kein Kalenderspruch ein, der so einen Quatsch relativieren könnte.

Eine Chance für das Scheitern – no fear!

Solange das Scheitern auf Angst gebaut ist, etwa durch den "Schufa-Effekt", solange werden wir es schwer haben. Solange uns die Gesellschaft vorgibt, dass das Scheitern etwas Negatives ist, muss jeder seinen eigenen, positiven Kampf für das Scheitern führen, das ist leider die Wahrheit. Wir brauchen Raum dafür, wir müssen dafür ebenso geliebt werden, wie für den scheinbaren Erfolg.

Es mag total stumpf klingen, aber im Grunde müssten wir zu uns sagen dürfen: "Die Ehe ist gescheitert. Gut, dann nehme ich mir jetzt die Zeit. Atme durch, tue etwas für meine Seele, das war ein wunderbarer Abschnitt, den ich feier. Toll, dass ich das erleben durfte."

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Und im besten Fall ist das nicht nur etwas, womit wir uns beruhigen, unseren Schmerz in Worten ertränken, sondern das auch genau so fühlen.

Warum mögen wir uns nicht, wenn wir scheitern? Weil es bedeutet, schwach zu sein? Was ist falsch daran, schwach zu sein?

Jüngere Generationen sind da anders, sagt man. Sie gehen besser damit um, für sie ist Schwäche eine Stärke. Oder besser: Wissenschaftler bestätigen mir immer wieder, dass die Generation Z viel mehr bereit dazu ist, Schwächen zu erkennen und daraus zu lernen.

Auch das Scheitern ist in dieser Generation einfach deutlich mehr eingepreist, somit sind wir langsam auf dem Weg dahin, dass in der Zukunft wirklich eine Chance liegt. Die Chance fallen zu dürfen. Um aufzustehen, um das Scheitern als einen Ausschnitt zu sehen, der die Seele reinigt.

Als ob man eine Ladung Wäsche in die Maschine schmeißt, um sich eine Stunde später am frischen Duft der sauberen Klamotten zu erfreuen.