Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) und der ukrainische Wolodymyr Selenskyj bei der Internationalen Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine. Britta Pedersen/dpa

Zum Auftakt einer internationalen Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine haben sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gemeinsam für eine weitere Stärkung der Luftverteidigung zum Schutz vor russischen Angriffen eingesetzt. Scholz rief die Verbündeten in Berlin auf, eine entsprechende deutsche Initiative «mit allem, was möglich ist» zu unterstützen. «Denn: Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss.»

Selenskyj bekräftigte, dass mindestens sieben weitere Patriot-Systeme nötig seien, um die ukrainischen Städte und Ballungsräume zu schützen. «Luftverteidigung ist die Antwort auf alles», sagte er laut offizieller Übersetzung mit Blick auf die russischen Angriffe mit Gleitbomben, Marschflugkörpern und Drohnen. Solange Russlands Präsidenten Wladimir Putin diese Möglichkeit nicht genommen werde, die Ukraine zu terrorisieren, «wird es für Putin kein wirkliches Interesse geben, einen fairen Frieden anzustreben», unterstrich Selenskyj.

Deutschland hat bereits zwei Patriot-Systeme geliefert, ein weiteres ist zugesagt, an ihm werden derzeit ukrainische Soldaten ausgebildet. Italiens Außenminister Antonio Tajani kündigte bei der Konferenz an, dass Italien bereit sei, ein neues Militärpaket mit Flugabwehr an die Ukraine zu schicken.

2000 Teilnehmer aus 60 Ländern

Selenskyj ist zum dritten Mal seit Beginn der russischen Invasion vor mehr als zwei Jahren in Berlin. Am Nachmittag wollte er erstmals persönlich vor dem Bundestag sprechen.

Bei der Wiederaufbaukonferenz beraten 2000 Vertreter aus etwa 60 Ländern über Hilfe für das vom Krieg schwer gezeichnete Land. Es ist keine Geberkonferenz, bei der Geld für den Wiederaufbau gesammelt werden soll, sondern es geht vielmehr um die Vernetzung der relevanten Akteure aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen. Ziel ist es, Initiativen beispielsweise zur Unternehmensförderung oder Fachkräfteausbildung auf den Weg zu bringen.

500 Milliarden US-Dollar in den nächsten 10 Jahren benötigt

Scholz stellte der Ukraine weitreichende und langfristige staatliche Zusagen für den Wiederaufbau in Aussicht. Dafür werde er sich auf dem G7-Gipfel der führenden westlichen Wirtschaftsmächte in Italien einsetzen, der am Donnerstag beginnt.

Der Kanzler verwies darauf, dass die Weltbank in den kommenden zehn Jahren mit einem Bedarf von 500 Milliarden US-Dollar (464 Milliarden Euro) Wiederaufbauhilfe rechne. Er rief auch private Unternehmen auf, sich mit Investitionen daran zu beteiligen. «Angesichts der Dimension, über die wir hier reden, muss privates Kapital hinzukommen.»

Hunderte deutsche Unternehmen seien weiterhin in der Ukraine aktiv, mit 35.000 Beschäftigten allein im Automobilsektor, betonte der Kanzler. Trotz des Kriegs gebe es keinen Abfluss deutscher Investitionen, das Handelsvolumen sei im Vergleich zur Vorkriegszeit deutlich gestiegen. «Das alles zeigt mir: Die Wirtschaft versteht, welches Potenzial die Ukraine hat.»

Selenskyj: «Energie ist für Russland eine Waffe»

Selenskyj warb für mehr Unterstützung beim Wiederaufbau der Energie-Infrastruktur, die «eine der wichtigsten Zielscheiben» für Putin sei. «Energie ist für Russland eine Waffe», sagte er. Bei den Angriffen seien bereits neun Gigawatt der ukrainischen Kapazitäten zerstört worden - im vergangenen Winter hätten die Spitzen des Energieverbrauchs bei 18 Gigawatt gelegen. «Das heißt, die Hälfte haben wir nicht mehr.» 80 Prozent der Wärmeerzeugung und ein Drittel der Wasserkraft seien von Putin zerstört worden, dieser ziele auch auf Gasspeicher. Ein Wiederaufbau bringe allen Vorteile und sei eine Garantie dafür, dass Russland nicht überall einen Blackout erzeugen könne, sagte Selenskyj, der zugleich mahnte: «Ohne Ihre Investitionen und ohne Kredite wird es uns wohl nicht gelingen.»

Ukraine kann auf riesiges Hilfspaket hoffen

Die Ukraine kann für ihren Abwehrkampf gegen die russische Invasion auf ein neues riesiges Unterstützungspaket der Gruppe der führenden demokratischen Industrienationen (G7) hoffen. Wie ein ranghoher EU-Beamter sagte, soll bei dem G7-Gipfel in Italien vereinbart werden, mit Zinsen aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar (etwa 47 Mrd. Euro) für die Ukraine zu finanzieren.

Mit dem Geld könnte die Ukraine dann ihre Verteidigung gegen Russland stärken und den Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur bezahlen. Zudem sollen mögliche finanzielle Engpässe im ukrainischen Staatshaushalt ausgeglichen werden können, erklärte der EU-Beamte.

Pistorius sagt Ukraine weitere Waffen zu

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat der Ukraine weitere Waffenlieferungen zugesagt. Dazu gehört unter anderem die Lieferung von Handwaffen, einschließlich Scharfschützengewehren. «Das werden wir zügig ermöglichen», sagte Pistorius beim gemeinsamen Besuch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf einem Truppenübungsplatz in Mecklenburg-Vorpommern, wo ukrainische Soldaten am Flugabwehrsystem Patriot ausgebildet werden. Es gehe auch um Unterstützung bei Panzerabwehrwaffen, Komponenten für Artilleriemunition sowie im Bereich von Drohnen und Drohnenabwehr.

Steinmeier: Städtepartnerschaften für Wiederaufbau wichtig

Beim künftigen Wiederaufbau der Ukraine können nach Ansicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Städtepartnerschaften mit Kommunen in Deutschland eine wichtige Rolle spielen.

Gerade vor Ort wisse man am besten, was jetzt und in Zukunft gebraucht werde, Hilfe sei schnell, konkret und unbürokratisch möglich, sagte Steinmeier bei einem Empfang für die Teilnehmer der internationalen Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine.

Aus voller Überzeugung hätten er und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Herbst 2022 die Schirmherrschaft über das Städtepartnerschaftsnetzwerk zwischen beiden Staaten übernommen. Mittlerweile gebe es mehr als 200 solcher Partnerschaften.

© Deutsche Presse-Agentur GmbH