Frankreich: Macron ruft Neuwahlen aus – das steckt wohl dahinter

Masterplan gegen Rechtsextreme

Bericht: Darum hat Macron Neuwahlen ausgerufen

Emmanuel Macron gedenkt der Opfer des Massakers in Oradour-sur-Glane während des Zweiten Weltkriegs: Der französische Präsident steht vor großen Herausforderungen. (Quelle: LUDOVIC MARIN/reuters)

Emmanuel Macron gedenkt der Opfer des Massakers in Oradour-sur-Glane während des Zweiten Weltkriegs: Der französische Präsident steht vor großen Herausforderungen. (Quelle: LUDOVIC MARIN/reuters)

Frankreichs Präsident Macron hat am Sonntag überraschend Neuwahlen ausgerufen. Damit verfolgt der Staatschef wohl einen Plan: die "Entzauberung" der Rechten. Wie will er das schaffen?

Für viele kam die Nachricht am Sonntagabend überraschend: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die Nationalversammlung aufgelöst. Hintergrund ist die herbe Niederlage seiner Partei Renaissance bei den Europawahlen. 32 Prozent der Franzosen machten ihr Kreuz beim rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen – mehr als doppelt so viele wie bei der Macron-Partei. Schon am 30. Juni und 7. Juli sollen die Franzosen erneut an die Urnen gehen, um bei Neuwahlen für die Nationalversammlung abzustimmen. Mehr dazu lesen Sie hier.

"Dies ist ein entscheidender Moment für eine Klarstellung", sagte Macron also am Sonntagabend. "Ich habe Ihre Botschaft und Ihre Bedenken gehört und werde sie nicht unbeantwortet lassen", fügte er an die Wähler gerichtet hinzu. Eine mögliche Stichwahl soll am 7. Juli erfolgen. "Frankreich braucht eine klare Mehrheit." Am Ende des Tages könne er nicht so tun, "als ob nichts geschehen wäre", fügte der Präsident hinzu. Stattdessen tritt Macron die Flucht nach vorn an – und verfolgt dabei offenbar einen klaren Plan.

Ist das Macrons Plan gegen die Rechtsextremen?

Was Macron mit den Neuwahlen bezweckt, soll er bereits der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verraten haben, die wiederum das Kalkül des Präsidenten wohl an ihre Parteifreunde im CDU-Bundesvorstand durchsteckte. Das will die "Bild"-Zeitung aus Führungskreisen der Christdemokraten erfahren haben. Demnach schwebt Macron nichts Geringeres vor, als die Rechtsextremen durch eine Regierungsbeteiligung zu "entzaubern".

Von der Leyen soll dem CDU-Bundesvorstand mitgeteilt haben, dass Macron mit einem Sieg oder deutlichen Zuwächsen für den RN bei den Neuwahlen rechne. Dann müssten die Rechtsextremen an der Regierung beteiligt werden. Der Plan: Wenn Marine Le Pen und ihre Mitstreiter selbst Politik machen müssen, könnten sie bald an ihre Grenzen kommen und so den Zorn der Wähler auf sich ziehen. Dass Le Pen bei den 2027 anstehenden Präsidentenwahlen in den Élysée-Palast einzieht, würde damit unwahrscheinlicher – so zumindest das Kalkül, über das die "Bild" berichtet.

Schon Mitterand und Chirac regierten so

Ganz neu ist Macrons Idee nicht. In der Geschichte der fünften französischen Republik seit 1959 gab es bereits drei Beispiele für eine solche "cohabitation" (zu Deutsch "Wohngemeinschaft"), wie die Franzosen eine Teilung der Macht zwischen Präsident und Regierung aus zwei gegensätzlichen politischen Lagern bezeichnen.

Zwischen 1986 und 1988 regierten der sozialistische Präsident François Mitterrand und Premierminister Jacques Chirac von der konservativen Partei Rassemblement pour la République (RPR). Später, von 1993 bis 1995, regierte Mitterand erneut gemeinsam mit einem RPR-Ministerpräsidenten – dieses Mal Édouard Balladur. Die bisher längste "cohabitation" führten dann Chirac als Präsident und der sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin von 1997 bis 2002.

Im Jahr 2000 wurde die Legislaturperiode für Präsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzt, zudem wurde der Termin für die Parlamentswahlen auf kurz nach den Präsidentschaftswahlen gelegt. Seitdem hat es keine erneute "cohabitation" in Frankreich gegeben. Doch Macron will das Wagnis offenbar dennoch eingehen.

Präsident kann als Oppositionsführer agieren

Der Präsident wird sich diesen Weg wohl überlegt haben: Bisher sind die französischen Wohngemeinschaften nämlich stets im Sinne des Präsidenten ausgegangen. Dieser befindet sich in einer "cohabitation" in einer paradoxen Rolle: Obwohl er Staatsoberhaupt ist, nimmt der Präsident in diesem System eine untergeordnete Position als faktischer Oppositionschef ein – jedoch mit echter Macht. Während sich der Präsident vorrangig mit Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt, muss der Premierminister innenpolitische Entscheidungen treffen. Das bietet Angriffsfläche.

François Mitterrand (l.) und Jacques Chirac bei einer Veranstaltung in Paris im Jahr 1987 (Archivbild): Beide Männer regierten jeweils als Staatspräsident zeitweise in einer "cohabitation". (Quelle: IMAGO/Durand Patrick/ABACA/imago)

François Mitterrand (l.) und Jacques Chirac bei einer Veranstaltung in Paris im Jahr 1987 (Archivbild): Beide Männer regierten jeweils als Staatspräsident zeitweise in einer "cohabitation". (Quelle: IMAGO/Durand Patrick/ABACA/imago)

Sowohl Mitterand als auch Chirac nutzten diese Konstellation, um ihre jeweiligen Regierungschefs öffentlich – etwa in Pressekonferenzen oder Fernsehinterviews – heftig zu kritisieren. Gleichzeitig machten sie von ihrer Macht Gebrauch, die Unterzeichnung von Verordnungen und Dekreten zu verweigern. Premierminister müssen dann für die Gesetzgebung den Umweg über das Parlament gehen, der Präsident jedoch kann sich so stets politisch auf seine Weigerung berufen – unpopuläre Entscheidungen fallen also auf den Ministerpräsidenten zurück. Darüber hinaus hat ein Präsident stets ein Ass im Ärmel: Einmal im Jahr kann er die Nationalversammlung auflösen.

"Es handelt sich um ein System der gegenseitigen Neutralisierung", erklärte der französische Politikwissenschaftler Alain Garrigou der Zeitung "Le Monde". "Der Präsident kann das Programm, für das er gewählt wurde, nicht umsetzen, während der Premierminister regieren und dabei jeden Fehltritt vermeiden muss, der den Präsidenten dazu veranlassen könnte, die Nationalversammlung aufzulösen, um die Parlamentswahlen wieder zu gewinnen."

Rechte und Linke bringen sich für Neuwahlen in Stellung

In dieses Szenario will Macron Frankreich nun offenbar bringen. Selbstverständlich bleibt abzuwarten, wie die französischen Wahlen zur Nationalversammlung Ende Juni ausgehen. Es kann nämlich auch anders kommen: Ein großer Erfolg der Rechtsextremen um Marine Le Pen ist nicht sicher. Erst 2022 hatten die Franzosen das Parlament gewählt. Obwohl Le Pen zuvor in der Stichwahl zur Präsidentschaft noch 41,5 Prozent Zustimmung eingefahren hatte, erreichte ihr RN danach bei den Wahlen zur Nationalversammlung nur 89 von 577 Sitzen. Dass die Rechtsextremen ihr starkes Ergebnis bei den Europawahlen also wiederholen, ist keineswegs sicher.

Le Pen, aber auch die Linken in Frankreich, basteln vor den Neuwahlen bereits an möglichen Kooperationen mit anderen Parteien. So stellte die ehemalige RN-Chefin eine Zusammenarbeit mit den konservativen Republikanern (LR) in Aussicht. Bei der Parlamentswahl könne der RN "durchaus" darauf verzichten, Gegenkandidaten zur LR aufzustellen, wenn sich beide Parteien im betroffenen Wahlkreis zuvor geeinigt hätten, sagte Le Pen am Montag im Fernsehsender TF1. Ihre Partei arbeite mit LR an einer Zusammenarbeit, die auf zwei Punkten beruhe: "der Verteidigung der Kaufkraft und der Wiederbelebung der Wirtschaft sowie dem Kampf gegen Unsicherheit und Einwanderung".

Marine Le Pen kommt in der Parteizentrale des Rassemblement National an: Die ehemalige Parteichefin will französische Präsidentin werden. (Quelle: Thomas Padilla/dpa)

Marine Le Pen kommt in der Parteizentrale des Rassemblement National an: Die ehemalige Parteichefin will französische Präsidentin werden. (Quelle: Thomas Padilla/dpa)

Le Pen: "Es gibt keinen Grund, hieran etwas zu ändern"

Auch Frankreichs linke Oppositionsparteien wollen bei den vorgezogenen Wahlen zusammenarbeiten und gemeinsame Kandidaten aufstellen. Die Sozialisten, Grünen, Kommunisten und die radikalere Partei Unbeugsames Frankreich vereinbarten am Montagabend eine Wahlkampf-Plattform, um vereint mit besseren Chancen gegen die liberale Partei von Macron und den RN anzutreten. Ziel sei es, eine Alternative zu Macron zu präsentieren "und gegen das rassistische Projekt der extremen Rechten zu kämpfen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Parteien wollen in jedem Wahlbezirk einen gemeinsamen Kandidaten unterstützen.

Le Pen bekräftigte derweil bereits, dass sie selbst im Fall eines Wahlsiegs nicht Premierministerin werden wolle. Diese Rolle strebe Parteichef Jordan Bardella an, sie selbst wolle Präsidentin werden. "Es gibt keinen Grund, hieran etwas zu ändern", sagte Le Pen.

Auf Frankreich kommen bewegte Wochen zu. Wenig Zeit bleibt den Parteien für einen Wahlkampf vor dem Urnengang. Die Franzosen jedoch mobilisieren bereits gegen die Rechten. Am Montag gingen in mehreren Städten Tausende Menschen auf die Straßen, um ihren Unmut über den RN-Sieg bei den Europawahlen auszudrücken. In Paris versammelten sich nach Angaben eines Journalisten der Nachrichtenagentur AFP am Abend mehrere Tausend Demonstrierende auf dem Place de la République und skandierten unter anderem "Die Jugend scheißt auf den Front National".

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