EM 2024: Die Prognose zum Turnier – sieben steile Thesen aus der watson-Redaktion

Unser Kollege hat auch eine steile These zu Manuel Neuer.

Die Europameisterschaft in Deutschland beginnt. Und plötzlich ist das ganze Land wieder Bundestrainer. Das gilt natürlich auch für die watson-Redaktion. Weil zum Start des Turniers viel über Tipps, Prognosen und den späteren Titelträger diskutiert wird, haben wir in unserem Newsroom nach möglichst gewagten EM-Vorhersagen gefragt.

Hier kommen sieben mehr oder minder steile Thesen zur EM 2024 aus der watson-Redaktion.

1. Sieg hin oder her – Deniz Undav sorgt für eine erfolgreiche EM

Sven Fröhlich, Volontär: Man kann noch so oft von diametral abkippenden Sechsern reden, am Ende ist Fußball auch nur Unterhaltung. Daher wird der Erfolg der deutschen Nationalmannschaft, inmitten des größten Umbruchs seit Jahren, zuvorderst entlang des Entertainment-Faktors bemessen werden. Und dafür sorgt Deniz Undav.

Bereits im Vorfeld war auf Youtube zu bestaunen, wie der Stuttgart-Profi spitzbübisch den DFB-Homeground und all seine Mitarbeiter:innen terrorisiert. "Warst du beim Friseur?", fragt der Schelm vom Dienst den verdattert dreinblickenden Alexander Nübel. Nübel verneint. Undav: "Sieht man."

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Beim WM-Erfolg 2014 war es der ausrangierte Lukas Podolski, der für ein launiges Binnenklima gesorgt hatte. Im Wechselspiel mit der Öffentlichkeit wurde nur leider öfter über, als mit ihm gelacht. Die Rolle nahm irgendwann Thomas Müller ein, der tragischerweise das Schicksal von Lars Eidinger erlitt und mit seiner eigenen Kunstfigur verschmolz.

Deniz Undav verkörpert hingegen den neuen Wind, der durch die Nationalmannschaft weht.Mit seiner unbedarften Authentischkeit (Thorsten Legat) gibt Undav der über lange Jahre zur Unkenntlichkeit glattgebügelten Mannschaft die bitter benötigte Edgyness. Seine eigene Karriere sollte er mal in drei Worte fassen: "Hart, fast unmöglich, spaßig." Er sah dann ein, dass das vier Wörter waren.

Video: YouTube/DFB

1. Für Frankreich wird früh Schluss sein

Lukas Grybowski, Senior-Sportredakteur: Sorry an alle, die beim Tippspiel schon ihre Bonus-Tipps abgegeben haben und Frankreich als Halbfinalist oder sogar EM-Sieger sehen!

Nach EM-Finale 2016, WM-Titel 2018, WM-Finale 2022 ist der Erfolgszyklus der Équipe Tricolore nun vorerst vorbei. Ich weiß, Frankreich hat einen gefühlt unerschöpflichen Pool an Nachwuchstalenten und mit Kylian Mbappé den mit Abstand besten Offensivspieler bei diesem Turnier in den Reihen. Aber das wird alles nicht reichen. Trainer Didier Deschamps steht seit seinem Amtsantritt 2012 für seinen pragmatischen Stil in der Kritik.

Kylian Mbappé wird eine der großen EM-Attraktionen sein. Frankreich scheidet trotzdem früh aus.

Wer immer dachte, dass Deutschland ein Mittelstürmer-Problem hat: Frankreichs einziger Stoßstürmer ist der mittlerweile 37-Jährige Oliver Giroud. Er ist auch der einzige Angreifer im Kader, auf den "schnell und trickreich" nicht passt.

Gruppengegner Ralf Rangnick wird seine Österreicher darauf perfekt einstellen und auch die Niederländer um Virgil van Dijk und Bayern-Star Matthijs de Ligt wissen, wie man richtig gut verteidigt. Und dann kommt der französische Motor schnell ins Stottern. Denn einen Plan B haben weder Spieler noch Trainer im Kopf.

1. Auf England wartet eine Jürgen-Klopp-Diskussion

Swen Thissen, Chefredakteur: Nach dem Halbfinale 2018 (1:2 n.V. gegen Kroatien), dem Endspiel 2021 (2:3 i.E. gegen Italien) und dem Viertelfinale 2022 (1:2 gegen Frankreich) wird es Zeit: Entweder gewinnt England den Titel – oder Gareth Southgates Zeit als Nationaltrainer läuft ab.

Nach jahrzehntelanger Durststrecke hat England endlich wieder ein Team, das in der Theorie gut genug ist, um Titel zu gewinnen. Nur muss man's in der Praxis irgendwann auch zeigen. Ich bin mir sicher: Die EM in Deutschland ist Southgates letzte Chance zu zeigen, dass er ein Titeltrainer ist. Entweder macht er's wie einst Joachim Löw und holt im vierten Anlauf das Ding. Oder England sucht ab Sommer einen neuen Coach.

Meine These ist: England packt's erneut nicht, auch wenn sich mein Fußball-Romantikerherz etwas anderes wünscht für den Elfmeterverschießer von 1996. Und dann wird sich ein ganzes Land auf einen Mann stürzen: Jürgen Klopp. Schon klar, er hat eine Pause angekündigt. Aber ob er wirklich widerstehen kann, wenn er sich nicht nur in Liverpool, sondern auf der ganzen Insel unsterblich machen kann, steht auf einem anderen Blatt.

1. Dänemark: Højlund wird zum Torschützenkönig

Lisa Slomka, Praktikantin: Dänemark hat sich in die Herzen vieler Fußball-Fans gespielt, auch in meins. Ich finde: in der Mannschaft von Trainer Kasper Hjulmand steckt viel Zunder, oder besser gesagt "Danish Dynamite". Einer, der für Tempo sorgen wird, ist Rasmus Højlund. Der 21-Jährige ist zwar noch nicht allen ein Begriff, aber er hat eine verdammt gute Saison bei Manchester United gespielt. Zehn Tore bei 30 Einsätzen. Meiner Meinung nach ein heißer Kandidat für den Titel des Torschützenkönigs.

Und weil eine steile These die andere jagt, sage ich: Dänemark gewinnt im Gruppenspiel gegen England. Warum? Dänemark ist eine Turnier-Mannschaft, das haben die Skandinavier mit ihrem Halbfinal-Einzug bei der EM 2021 unter Beweis gestellt. Damals unterlagen sie gegen England in der Verlängerung. Bei der EM 2024 haben sie das Zeug, sich zu revanchieren.

1. Für Deutschland ist spätestens im Viertelfinale Schluss

Nikolai Stübner, Senior-Sportredakteur: Ich weiß, damit mache ich mich unbeliebt, aber: Deutschland erreicht höchstens das Viertelfinale. Jetzt ist es raus und wer mir Böses will, kann mir auf Social Media Hassnachrichten schreiben. Die Meinung vertrete ich aber nicht, weil ich an Julian Nagelsmann oder seiner Taktik zweifle.

Ich glaube vielmehr, dass die Leistung der Nationalmannschaft im März gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) Ausreißer nach oben waren und den Blick verzerren. Die Herangehensweise von Nagelsmann, die beste Mannschaft und nicht die besten Spieler zu nominieren, finde ich sogar gut. Denn das war auch 2014 der Schlüssel zum WM-Erfolg.

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Der große Unterschied: Damals spielten die ersten 15 bis 16 Spieler schon seit Jahren bei Top-Klubs wie Real Madrid, dem FC Bayern, Borussia Dortmund oder dem FC Arsenal. Jetzt tummeln sich Profis von Brighton & Hove Albion, dem VfB Stuttgart oder Bayer Leverkusen unter den Startelf-Kandidaten. Kein Vorwurf an die aktuellen Akteure. Ich mag die Undavs, Führichs oder Andrichs, aber es ist eben doch ein Unterschied zu 2014.

1. Nagelsmann macht den Klinsi und sägt Neuer ab

Jannik Sauer, Redakteur News und Sport: Spätestens nach dem Ungarnspiel wirft Bundestrainer Julian Nagelsmann seine Nibelungentreue zu Manuel Neuer über Bord und beordert Marc-André ter Stegen ins deutsche Tor.

Denn vor dem letzten Gruppenspiel, wenn Deutschland wie zuletzt immer mit dem Rücken zur Wand steht, wird es ein solches Signal brauchen – und Nagelsmann sich an die selige Zeit im März erinnern, als sein Team Frankreich und die Niederlande besiegte und ganz Deutschland vom EM-Sommermärchen träumen ließ. Souveräner Rückhalt der neu formierten Mannschaft damals: ter Stegen, nicht der fahrig wirkende Neuer von heute.

Marc-André ter Stegen lauert bei der EM auf seine Chance.

Um Deutschland ins Achtelfinale zu hieven, greift Nagelsmann tief in die psychologische Trickkiste und nimmt sich ein Vorbild an seinem Vor-Vor-Vorgänger Jürgen Klinsmann. Der setzte bei der WM 2006 bekanntermaßen auf die etatmäßige Nummer zwei Jens Lehmann und ließ Platzhirsch Oli Kahn draußen, wenn auch schon vor dem Turnier. Am Ende kam Deutschland bis ins Halbfinale.

1. Cristiano Ronaldo muss auf die Bank

Jan Schultz, Sportredakteur: Ja, in meinem Schrank hängt ein Trikot von Lionel Messi. Genau genommen sind es sogar drei. Dass ich mir an dieser Stelle CR7 herauspicke, entbehrt dennoch jeglicher Kausalität.

Objektiv betrachtet spricht dabei erstmal vieles für Cristiano Ronaldo. Er hält Rekorde im portugiesischen Nationalteam, er hält Rekorde bei all seinen (Ex-) Klubs und er ist der Spieler mit den meisten Einsätzen sowie Toren bei EM-Endrunden.

Der ewige Cristiano: 20 Jahre nach seinem ersten Turnier wird der Superstar seine sechste EM spielen.

Aber er ist mittlerweile eben auch schon 39 Jahre alt, längst nicht mehr so dynamisch wie in seinen besten Zeiten und er kickt nur noch in der Saudi-Liga. Das Einzige, was sich nicht geändert hat, ist seine fehlende Bereitschaft in der Arbeit gegen den Ball.

Portugals ehemaliger Nationaltrainer Fernando Santos hatte das bei der vergangenen WM erkannt, CR7 zum Achtelfinale durch Gonçalo Ramos ersetzt und prompt die beste Leistung seines Teams beim Turnier gesehen. 5:0 gewann die Seleção, Ramos traf dreifach.

Santos ist mittlerweile Geschichte, Nachfolger Roberto Martínez baut wieder voll auf Ronaldo. Das macht das Offensivspiel trotz aller Qualitäten, die der enorm gut besetzte Kader Portugals hergibt, ausrechenbarer, fast schon eindimensional. Denn jeder Angriff ist auf CR7 zugeschnitten.

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Gegen kleine Gegner mag dies noch funktionieren, in großen Spielen aber legt sich Portugal damit selbst Steine in den Weg, beraubt sich der Fähigkeiten eines Rafael Leão, João Félix oder Bruno Fernandes. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass CR7 gänzlich auf der Bank schmoren muss. Von dort aus kommend könnte er in der Schlussphase gegen müde werdende Gegenspieler noch immer den Unterschied ausmachen. Er muss diese Rolle nur akzeptieren.

PS: In meinem Schrank hängt auch ein Trikot von Cristiano Ronaldo.