Kroos als Dirigent und starke Offensivreihe: Die Gründe für den Kantersieg des DFB-Teams

Die deutsche Nationalmannschaft fertigte Schottland zum EM-Auftakt mit 5:1 ab. Das hatte vor allem zwei Gründe.

Im Eröffnungsspiel der EM 2024 konnte Deutschland einen deutlichen 5:1-Sieggegen Schottland einfahren. Welch wichtige Rolle hierbei Toni Kroos spielte, erklären wir in der folgenden Analyse zum Spiel. Dabei beleuchten wir ebenfalls, warum und wie das Quartett um Wirtz, Musiala, Havertz und Gündoğan ihre größten Kritiker verstummen ließen, und weshalb die Taktik Schottlands dem Team von Julian Nagelsmann in die Karten spielte.

Viele erwarteten im Vorfeld der Partie gegen Schottland eine Geduldsprobe für das deutsche Team. In ihrer Generalprobe vor dem Turnier konnten sie das tief verteidigende Griechenland erst spät mit 2:1 knacken. Nicht zuletzt aufgrund der schottischen Herangehensweise und Deutschlands Qualität im Spielaufbau gestaltete sich das Eröffnungsspiel der EM hingegen schon früh deutlich.

Toni Kroos drückt dem DFB-Team in 20 Minuten seinen Stempel auf

Eine entscheidende Rolle spielte die Aufbaustruktur von Deutschland und die Defensivstruktur Schottlands. Die DFB-Elf spielte wie zu erwarten in Ballbesitz mit einem Dreieraufbau bestehend aus den zwei Innenverteidigern sowie Toni Kroos, der sich in die linke Halbspur fallen ließ und von dort aus der Dirigent des Aufbauspiels war. Nicht zuletzt war dies auch möglich, weil Schottland in einem 5-4-1-System zwar immer wieder vorschob, jedoch nur selten aktiv Druck auf Kroos ausübte.

Kroos leitet per Diagonalball den Angriff zum 1:0 ein.

Der rechte Flügelspieler der Schotten folgte häufig Linksverteidiger Mittelstädt (siehe Abb. 1), der in den Ballbesitzphasen aufrückte, um Raum für Kroos zu schaffen. Somit war lediglich der rechte zentrale Mittelfeldspieler McTominay in der Lage, durch ein Rausrücken Kroos unter Druck zu setzen. Dieser rückte jedoch nur sehr verhalten auf Kroos vor, um nicht den Raum vor der Kette für Wirtz, Gündoğan und Musiala zu öffnen. Durchaus verständlich bei der deutschen Stärke im Kombinationsspiel im Zehner-Raum, dem Raum vor der gegnerischen Abwehr.

Dies bot jedoch Zeit und Freiraum am Ball, den man einem Toni Kroos nicht gewähren sollte. Mit seinem Passspiel leitete er durch einen Diagonalball auf den aufgerückten Rechtsverteidiger Kimmich den ersten Treffer ein. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Den zweiten Treffer, wenn auch aus zentralerer Position konnte ebenfalls Toni Kroos mit einem Pass auf Gündoğan im Zehner-Raum einleiten.

Als Schottland nach einer knappen halben Stunde auf ein 5-3-2-System umstellte, indem ein zweiter Stürmer Toni Kroos mehr unter Druck setzen konnte, stand es bereits 2:0. Deutschland brachte als Antwort darauf Kroos wieder in zentralere Räume und bespielte die linke Halbspur deutlich variabler. Wenn Linksverteidiger Mittelstädt weiter in einer breiten Position blieb, kam einer der deutschen Offensivspieler in die Halbspur. Vor dem Elfmeter zum 3:0 war dies Musiala, der anschließend im Dribbling das Spiel auf Kimmich verlagerte.

DFB-Team: Havertz, Wirtz, Musiala und Gündoğan perfekt abgestimmt

Diese aufeinander abgestimmten Bewegungen bringen uns zur zweiten Stärke im Spiel gegen Schottland: Variabilität im Angriffsspiel. Nagelsmann ließ bereits mit seiner Aufstellung andeuten, dass die deutsche Mannschaft ihrer Herangehensweise mit vielen Spielern, die stark in Zwischenräumen kombinieren, weiter treu bleiben würde.

Mit Kai Havertz im Sturm setzte man auf einen mitspielenden und beweglichen Stürmer vor den einrückenden Flügelspielern mit Florian Wirtz und Jamal Musiala. İlkay Gündoğan agierte von der Zehnerposition aus als Bindeglied zwischen den deutschen Angreifern und Aufbauspielern.

Max Bergmann gehört zum Trainerteam der TSG Hoffenheim.

Der deutschen Nationalelf spielte dabei in die Karten, dass Schottland keinesfalls vor dem eigenen Strafraum abwartend agierte, sondern vielmehr immer wieder mit dem Block vorschob. So boten sich Möglichkeiten, mit tiefen Bällen hinter die schottische Abwehr zu kommen. Dies kristallisierte sich schnell als eine der Schwachstellen der Schotten heraus. Zudem gab es für die deutschen Angreifer immer wieder Gelegenheiten in die Tiefe zu laufen und damit Räume vor der Abwehr freizuziehen

Gündoğan bekommt zwischen den Linien den Ball während Wirtz, Musiala und Havertz die schottischen Abwehrspieler binden (19. Minute).

Einer dieser Momente war ein Laufweg von Havertz hinter die schottische Abwehrkette in der 19. Minute. Dieser war ausschlaggebend dafür, dass die Abwehr ein paar Meter fallen musste und Gündoğan zwischen den Ketten aufdrehen konnte. Auch Musiala und Wirtz zogen beide ihre Gegenspieler mit Laufwegen weg vom Ball. Somit konnte Gündoğan mit einem Schnittstellenpass Havertz im Strafraum finden, bevor Musiala zum 2:0 vollendete.

"Allein auf die Qualitäten von Toni Kroos sollte und wird sich die Nagelsmann-Elf in den kommenden Spielen nicht verlassen."

In anderer Konstellation bereitete bereits Gündoğan ohne Ballkontakt indirekt den 1:0-Führungstreffer von Wirtz vor. Während Musiala am Flügel Kimmich unterstützte und damit einen weiteren schottischen Verteidiger aus der Abwehr zog, erkannte Gündoğan den freien Raum und belief diesen bis in den Strafraum (Abbildung 3).

Dies zog den kompletten Raum vor der Abwehr frei, in dem Wirtz nach Pass von Kimmich das 1:0 erzielte. Das gegenseitige Freiziehen von Räumen gelang der DFB-Elf gegen Schottland in vielen Situationen wesentlich besser als noch in den Vorbereitungsspielen.

Kimmich mit der Vorlage für Wirtz im freien Raum vor der Kette (10. Minute).

DFB-Team mit gutem EM-Start und Luft nach oben

Als Fazit lässt sich ziehen, dass die Variabilität der deutschen Angriffe Mut macht für die kommenden Spiele. Insbesondere Gündoğan, dessen Berechtigung in der deutschen Startelf zuletzt häufig hinterfragt wurde, konnte seine Bedeutung für das Team untermauern. Auch Havertz war in der Lage, durch seine Laufwege viele Räume zu kreieren, die Wirtz und Musiala in der Folge mit ihrer Stärke im Dribbling nutzten.

Die Einwechslung von Niclas Füllkrug verdeutlichte außerdem erneut, wie Deutschland verschiedene Elemente in ihrem Angriffsspiel bedienen kann. Der Dortmunder Stürmer konnte dem Team noch mehr Strafraumpräsenz insbesondere bei hohen Hereingaben verleihen.

Niclas Füllkrug (r.) traf direkt nach seiner Einwechslung.

Es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern der deutsche Angriff ihre Stärken auch gegen noch tiefer stehende Gegner bei der EM zur Geltung bringen kann. Möglicherweise kommen hierbei dann auch Elemente wie das Flankenspiel, welches in der zweiten Hälfte Andeutungen fand, noch mehr zum Tragen.

Hier die Nachricht – hier der Sidekick bzw. das Abseitige

Allein auf die Qualitäten von Toni Kroos sollte und wird sich die Nagelsmann-Elf in den kommenden Spielen nicht verlassen. Schottland konnte im Eröffnungsspiel aufzeigen, wie man gegen dieses deutsche Team besser nicht spielen sollte. Dies lässt vermuten, dass bereits der kommende Gegner Ungarn eine andere Strategie verfolgen wird. Eine erneute Probe für die Nationalelf, die dann ihr variables Angriffsspiel gepaart mit frisch getanktem Selbstbewusstsein erneut unter Beweis stellen darf.