Ukraine-Krieg: Friedensgipfel in der Schweiz – Putin mischt sich ein

Ukraine-Gipfel in der Schweiz

Es geht um mehr als Frieden

Wladimir Putin (l.) und Wolodymyr Selenskyj: Obwohl Putin nicht am Gipfel in der Schweiz teilnimmt, stellt er Forderungen. (Quelle: dpa / Kay Nietfeld, REUTERS / Maxim Shemetov, Denis Balibouse, Collage t-online)

Wladimir Putin (l.) und Wolodymyr Selenskyj: Obwohl Putin nicht am Gipfel in der Schweiz teilnimmt, stellt er Forderungen. (Quelle: dpa / Kay Nietfeld, REUTERS / Maxim Shemetov, Denis Balibouse, Collage t-online)

Vertreter von mehr als 100 Staaten besprechen am Wochenende in der Schweiz den ukrainischen Friedensplan. Ein für die Ukraine erfolgreiches Ergebnis ist aber nicht gewiss – und aus der Ferne mischt sich Putin ein.

Wolodymyr Selenskyj hat bewegte Wochen hinter sich. Der ukrainische Präsident jettet seit Anfang Juni um die Welt. Es ist eine beispiellose diplomatische Offensive des Präsidenten, die an diesem Wochenende im wichtigsten Termin gipfelt.

Doch der Reihe nach: Erst ging es für Selenskyj zum Shangri-La-Sicherheitsdialog in Singapur. Danach flog er zum D-Day-Gedenktag in die Normandie, dann nach Paris für eine Rede vor der Nationalversammlung. Am Dienstag sprach er in Berlin vor dem Bundestag und eröffnete mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine. Im Anschluss reiste er für Gespräche mit dem Königshaus nach Saudi-Arabien, bevor er am Donnerstag den G7-Staatenlenkern in Süditalien einen Besuch abstattete.

Selenskyj weiß mittlerweile, dass er seinem Land am besten hilft, wenn er sich um die diplomatischen Belange kümmert: Das bedeutet, Unterstützer hinter sich zu scharen, Russlands Einfluss vor allem im globalen Süden zu verringern und natürlich dafür zu sorgen, dass die Militärhilfen für sein Land nicht abreißen.

Doch beim Friedensgipfel auf dem schweizerischen Berg und gleichnamigen Kurort Bürgenstock – dem Höhepunkt von Selenskyjs Diplomatieoffensive – geht es noch um viel mehr als das: Die Ukraine will zeigen, dass sie angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs die Rückendeckung des Großteils der internationalen Gemeinschaft genießt – nicht Russland. Die Vorzeichen für den Gipfel stehen jedoch nicht eindeutig zugunsten der Ukraine. Das liegt vor allem an den Nationen und Staatenlenkern, die nicht teilnehmen.

Was soll in der Schweiz besprochen werden?

Im Kern geht es um den Zehn-Punkte-Plan für einen Frieden, den Selenskyj bereits Ende 2022 vorgelegt hatte. Der Gipfel in der Schweiz ist dahingehend auch kein ganz neues Format: Zuvor hatte es bereits im Juni 2023 ein informelles Treffen in Kopenhagen, einen Gipfel im August 2023 im saudi-arabischen Dschidda sowie eine Zusammenkunft der Ukraine-Unterstützer im Oktober 2023 in Malta gegeben. Auch dort waren Selenskyjs zehn Punkte die Grundlage von Gesprächen, mehr als Unterstützung gab es für die Ukraine jedoch zunächst nicht. Der Schweizer Gipfel ist bisher das größte Treffen dieser Art.

Der Zehn-Punkte-Plan der Ukrainer sieht unter anderem folgende Punkte vor:

  • Nukleare Sicherheit
  • Ernährungssicherheit
  • Sicherheit der Energieversorgung
  • Freilassung von Gefangenen und deportierten Personen
  • Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine
  • Rückzug der Kremltruppen und Einstellung der Kampfhandlungen
  • Wiederherstellung von Gerechtigkeit
  • Umweltsicherheit
  • Verhinderung einer Eskalation des Krieges und einer erneuten Aggression
  • Bestätigung der Beendigung des Krieges

Welche Staaten nehmen teil?

Die Schweiz hat mehr als 160 Delegationen zahlreicher Länder und internationaler Organisationen eingeladen. Nach Angaben des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Oleksii Makeiev, haben mehr als hundert Staaten zugesagt. Etwa die Hälfte davon schicken voraussichtlich Staats- und Regierungschefs. Darunter sind Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron sowie die Staats- und Regierungschefs Italiens, Großbritanniens, Kanadas und Japans. Die USA schicken lediglich Vizepräsidentin Kamala Harris.

Im Vorfeld war die Zahl der Teilnehmer ein heiß diskutiertes Thema. Immerhin lässt sich daran ablesen, wie stark die weltweite Unterstützung für die Ukraine ist. Zunächst hieß es laut RadioFreeEurope/Radio Liberty aus Diplomatenkreisen, dass sogar manche Staaten nach der Zusage abgesprungen seien. Nur 78 Staaten würden teilnehmen. Die Schweizer Regierung erklärt in einer Pressemitteilung, dass "90 Staaten und Organisationen" zum Gipfel zugesagt hätten.

Das Luxus-Ressort auf dem Bürgenstock: Hier loten wohl mehr als 100 Staatsvertreter Wege zum Frieden aus. (Quelle: Denis Balibouse/REUTERS)

Das Luxus-Ressort auf dem Bürgenstock: Hier loten wohl mehr als 100 Staatsvertreter Wege zum Frieden aus. (Quelle: Denis Balibouse/REUTERS)

Indien, das Russland geholfen hat, die Wirtschaftssanktionen zu überstehen, wird voraussichtlich eine Delegation entsenden. Die Türkei und Ungarn, die ebenfalls freundschaftliche Beziehungen zu Russland pflegen, werden durch ihre Außenminister vertreten sein.

Welche Schlüsselstaaten bleiben dem Treffen fern?

Allen voran ist dabei natürlich Russland zu nennen. Moskau hat jedoch von Anfang an kaum Interesse an dem Gipfel gezeigt und wurde deshalb auch nicht eingeladen. Dennoch zeigen Putins Forderungen, dass Russland versucht, dem Treffen aus der Ferne seinen Stempel aufzudrücken.

Außerdem fehlt China. Das wiegt wegen des weltweit großen politischen Einflusses Pekings noch schwerer. Doch China hat eigene Pläne und verfolgt diese mit großem Eifer. Peking betont stets, dass es im Ukraine-Krieg neutral sei. Dennoch vertieft das Land seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, versorgt die Armee zwar nicht mit Waffen, aber wichtigen Gütern zur Herstellung von Kriegsgerät. Gleichzeitig versucht China jedoch, den Handel mit dem Westen weitgehend aufrechtzuerhalten.

China hat eigenen Friedensplan

Auch in Sachen Frieden hat Peking seine ganz eigenen Pläne. China versucht sich daran, einen eigenen Friedensplan durchzusetzen, der im Mai gemeinsam mit Brasilien vorgestellt wurde. Peking setzt dabei vor allem auf die Unterstützung der Entwicklungsländer. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters sollen chinesische Diplomaten deshalb im Vorfeld des Gipfels auch versucht haben, Länder des Globalen Südens daran zu hindern, Delegationen in die Schweiz zu schicken.

Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums erklärte kürzlich, dass mehr als 100 Länder den Vorschlag unterstützen würden. Wieder Zahlenspiele ohne die namentliche Nennung von Unterstützern. Dies würde "die gemeinsamen Erwartungen der internationalen Gemeinschaft und den größten gemeinsamen Nenner in der heutigen Welt" widerspiegeln. China ruft zudem dazu auf, dass sich mehr Länder dem Vorschlag anschließen.

Der Dritte im Bunde der Schlüsselmächte ist US-Präsident Joe Biden. Das Weiße Haus schickt zwar seine Stellvertreterin Kamala Harris nach Bürgenstock. Warum Biden nicht selbst am Gipfel teilnimmt, ist nicht vollends klar. Immerhin weilte er noch bis Freitag in Süditalien beim G7-Treffen und damit nur einen kurzen Flug von der Schweiz entfernt. Allerdings hatten sich die USA auch lange mit einer Zusage zum Gipfel geziert.

Wie groß sind die Chancen auf eine Einigung?

Der ukrainische Zehn-Punkte-Plan steht auf tönernen Füßen. Es sind Maximalforderungen, denen sich längst nicht alle Staaten anschließen wollen, die der Ukraine nahestehen. Das könnte Auswirkungen auf das Ergebnis des Schweizer Gipfels haben. So will der japanische Sender NHK bereits erfahren haben, dass es die Forderung nach einem vollständigen Abzug der russischen Truppen nicht in die Abschlusserklärung schafft.

Laut RadioFreeEurope/Radio Liberty sieht ein vorläufiger Entwurf vor, dass ein Frieden die "Mitwirkung und den Dialog aller Parteien" benötige. Demnach sollte Russland also unbedingt ins Boot geholt werden. Der Sender beruft sich dabei auf europäische Diplomaten, die anonym bleiben wollen.

Ohnehin sollen laut der Nachrichtenagentur AP lediglich drei Schlüsselelemente des ukrainischen Plans besprochen werden: die nukleare Sicherheit, humanitäre Hilfen und die globale – also nicht nur ukrainische – Sicherheit bei der Lebensmittelversorgung. AP berichtet, dass in Diplomatenkreisen der Konsens bestehe, dass anhand dieser drei Punkte die größte Unterstützung aller Gipfelteilnehmer erzielt werden könne.

Putin stellt eigene Bedingungen

Mit eigenen Bedingungen für einen Frieden hat sich dann am Freitag noch Wladimir Putin höchstpersönlich in das Vorgeplänkel des Gipfels eingemischt. Der russische Präsident fordert von der Ukraine, ihre Truppen aus den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk abzuziehen. Dazu soll das Land zudem seine Ambitionen aufgeben, Teil des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato zu werden. Erst dann wäre er bereit, überhaupt über einen Frieden zu reden. Sollte Kiew seine Bedingungen ablehnen, würden sie verfallen – der nächste Vorschlag käme dann mit neuen Konditionen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Wladimir Putin spricht während eines Treffens mit der Führungsspitze des Außenministeriums in Moskau: Der Kremlchef mischt sich aus der Ferne in den Friedensgipfel ein. (Quelle: IMAGO/Valeriy Sharifulin/imago)

Wladimir Putin spricht während eines Treffens mit der Führungsspitze des Außenministeriums in Moskau: Der Kremlchef mischt sich aus der Ferne in den Friedensgipfel ein. (Quelle: IMAGO/Valeriy Sharifulin/imago)

Es ist eine Nebelkerze des russischen Präsidenten. Einmal mehr zeigt Putin, wie wenig er tatsächlich an Verhandlungen interessiert ist. Entsprechend scharf fielen die Reaktionen aus: Der russische Präsident Wladimir Putin habe "keine wirklichen Friedensvorschläge und keinen Wunsch, die Kämpfe zu beenden", erklärte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak im Onlinedienst X. Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin warf Putin vor, der Ukraine einen Frieden "diktieren" zu wollen. Dennoch werden die Teilnehmer auf dem Gipfel um die Forderungen des Kremlchefs nicht herumkommen.

Wie geht es nach dem Gipfel weiter?

Das hängt vor allem von der Abschlusserklärung ab. Die Ukraine baut auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Bleibt diese aus, droht die ukrainische Position an Bedeutung zu verlieren. Der Ukraine geht es dabei darum, einen Hebel für künftige Verhandlungen herzustellen: Die Welt soll die russische Aggression anerkennen und sie mehrheitlich verurteilen. Ohne die Teilnahme Chinas an einem solchen Gipfel wird dieses Ziel jedoch schwer zu erreichen sein.

Deshalb ist davon auszugehen, dass auf dem Schweizer Gipfel keine großen Sprünge in Richtung eines Friedens gemacht werden. Doch es geht um viel mehr als das: Denn die Konturen eines Friedensschlusses werden in Kriegen lange vor dem Ende der Kampfhandlungen geschaffen. Das weiß wohl auch Selenskyj. Seine Diplomatieoffensive wird er auch deshalb nach dem Treffen auf dem Bürgenstock mit dem gleichen Kampfesgeist fortführen.

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