Rishi Sunak: Der Premierminister patzt im britischen Wahlkampf

Rishi Sunaks Pannen-Wahlkampf

Jetzt überholen ihn sogar die Brexiteers

Rishi Sunak: Er will wiedergewählt werden. (Quelle: IMAGO/Thomas Krych)

Rishi Sunak: Er will wiedergewählt werden. (Quelle: IMAGO/Thomas Krych)

Anfang Juli wird im Vereinigten Königreich neu gewählt. Der amtierende Premierminister Rishi Sunak hat nach schweren Patzern in den vergangenen Wochen massiv an Boden verloren.

Am 19. Mai schließt Craig Williams auf der Website des Wettanbieters Ladbrokes in der Grafschaft Montgomeryshire, Wales, eine Wette ab. Sein Tipp: Es wird im Juli zu Neuwahlen im britischen Unterhaus kommen. Er wettet 100 Pfund. Drei Tage später verkündet Premierminister Rishi Sunak die Auflösung des Parlaments – und Neuwahlen am 4. Juli.

Ein unglaublicher Glücksfall für Williams – könnte man meinen. Doch Williams ist nicht irgendwer: Sunak ist sein Chef, Williams der Privatsekretär des Premierministers. Inzwischen hat der Untergebene ein Ermittlungsverfahren am Hals, denn vieles deutet darauf hin, dass er mit seinem Insiderwissen gewettet hat. "Ich hätte darüber nachdenken sollen, wie dumm so etwas aussehen kann", schrieb Williams diese Woche bei Facebook.

Pech und Pleiten: Sunaks Wahlkampf steht unter keinem guten Stern. Der Fall Craig Williams fügt sich nahtlos ein in eine Aneinanderreihung kurioser Ereignisse, die in der britischen Presse ausgeschlachtet werden. Ein Überblick.

Eine Ankündigung im strömenden Regen

22. Mai: Sunak will den Briten die Neuwahl erklären. Es regnet in Strömen. Der Premier ist teils schwer zu verstehen: Während er versucht, mit einer gewissen Ernsthaftigkeit seinen Plan von "bold action" (unerschrockener Tatkraft) zu präsentieren, wird er übertönt.

Wenige Meter entfernt spielt ein Demonstrant den 90er-Dance-Hit "Things Can Only Get Better" in ohrenbetäubender Lautstärke. Ein völlig durchnässter und entnervter Sunak zieht sich nach wenigen Minuten zurück in den Regierungssitz an der Downing Street 10. Der Guardian titelt hämisch: "Things can only get wetter" – Es kann nur nasser werden.

D-Day, Wales und die Titanic

23. Mai: Nur einen Tag nach der Ankündigung produziert der Premier die nächste vernichtende Schlagzeile: "Rishi Sunak schießt in walisischer Brauerei Eigentor", titelt der Independent. Sunak hatte die Brauer aus Wales gefragt, ob sie sich auf den Auftritt ihres Landes bei der EM freuten. Die Antwort: Wales hat sich nicht für das Turnier qualifiziert.

24. Mai: Bei einem Besuch im nordirischen Belfast besucht Sunak das Titanic-Viertel. Eine Gelegenheit, die die britische Presse nicht auslässt: Ein Journalist fragt Sunak, ob er sich als Kapitän eines sinkenden Schiffes sehe. Sunak verneint. Der Guardian schreibt: "Sunaks Wahlkampftour startet grauenvoll – Besuch im Titanic-Viertel inspiriert Vergleiche zu Schiffskatastrophe." Der Journalist Iain Dale fragt bei X: "Was kommt als nächstes – ein Besuch bei einem Beerdigungsinstitut?"

6. Juni: Bei den Feierlichkeiten zum D-Day in Frankreich reist Sunak bereits vor Ende ab, wird durch Außenminister David Cameron vertreten. Später stellt sich heraus: Sunak zog einen Interviewtermin mit dem Sender ITV vor. Das Interview wird allerdings erst eine Woche später ausgestrahlt. Nach heftiger Kritik bittet Sunak zwei Tage später um Verzeihung – und sagt alle für den Samstag geplanten Pressetermine ab. Auch Hintergrundgespräche mit nationalen und internationalen Medienvertretern werden vom Büro des Premierministers abgesagt.

12. Juni: ITV strahlt das Interview aus der Vorwoche aus, für das Sunak die D-Day-Feierlichkeiten verlassen hatte. Der Sender spielt auch den Beginn der Aufzeichnung ein: Sunak betritt mit Verspätung das Studio und ruft den Journalisten zu: "Das Event (die D-Day-Feierlichkeiten, Anmerkung der Redaktion) war unglaublich, aber sie haben überzogen." In dem Interview erklärt Sunak unter anderem, er verstehe die Wähler, da er als Jugendlicher auch auf vieles verzichten musste. Er habe beispielsweise kein Abo beim Bezahlsender Sky bekommen.

Am selben Tag strahlt der Sender Sky News eine Debatte zwischen Sunak und seinem Rivalen Keir Starmer von der Labour-Partei aus. In Umfragen erklären 64 Prozent der Zuschauer, Starmer habe die Debatte gewonnen – nachdem Sunak noch bei einer Debatte in der Vorwoche ein knapper Sieg attestiert worden war. In einer Analyse für Sky News schreibt der Politikchef des Senders: "Mr. Sunak wirkte erschöpft von den Fragen der Wähler. Es wirkte fast, als könne er das Ende nicht erwarten."

13. Juni: In einem Pressegespräch am Rande des G7-Gipfels in Italien wird Sunak zu Craig Williams befragt – jenem Mitarbeiter, der auf den Wahltermin im Juli gewettet hatte. Sunak weigert sich, zu erklären, ob Williams zum Zeitpunkt der Wette von seinen Neuwahlplänen wusste. Er wolle den Ermittlungen nicht vorgreifen. Als eine Journalistin ihm erklärt, er könne die Sache hier und jetzt abräumen, wiederholt Sunak diese Aussage.

Plötzlich ist Farage wieder da

Die Pannen im Wahlkampf scheinen nicht folgenlos zu bleiben: In einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov liegen Sunaks Tories auf einmal sogar hinter der rechtspopulistischen Reform-UK-Partei von Nigel Farage – dem Politiker, der 2016 wie kein anderer für den heute so unbeliebten Brexit stand und der überraschend vor zwei Wochen seine Rückkehr in die Politik verkündete. Die Konservativen wären damit nur noch die dritte Kraft im Königreich. Die Tories stehen bei 18, Reform UK bei 19 Prozent.

Ein Triumph für die Rechtspopulisten. Farage nutzte die Möglichkeit und stilisierte die Umfrage im Gespräch mit dem "Telegraph" zu einem entscheidenden Moment nicht nur im Wahlkampf – sondern in der Zukunft der Rechten. Die Tories seien "völlig kaputt". Farage prophezeit, dass sich die Partei an wichtigen Fragen spalten werde, etwa an der Einwanderungspolitik: "Innerhalb einer Woche wird es innerhalb der Konservativen Partei zu einem Krieg kommen."

Die Labour-Partei von Keir Starmer liegt bei 37 Prozent und damit 19 Prozentpunkte vor den Tories. Auch der Trend spricht klar für die Sozialdemokraten. Aus Sunaks Debakel könnte also Starmers großer Sieg werden: Er wäre der erste Labour-Premierminister seit Gordon Brown vor 14 Jahren.

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