"Ich habe da eine Idee": Wie ich als Führungskraft entscheide, ob wir ein XXL-Projekt umsetzen

Vor der Podcast-Aufzeichnung steht eine Entscheidung: Können wir das Projekt wirklich stemmen?

Wenn Kolleg:innen fragen, ob ich heute "vielleicht mal kurz fünf Minuten spontan Zeit" habe, schrillen bei mir die Alarmglocken. Meistens bahnt sich bei dieser Formulierung nichts Gutes an. Der eine will sich über irgendetwas beschweren, die andere kommt mit einem privaten Problem um die Ecke, im schlimmsten Fall kündigt jemand.

Bei Kollege Lukas war's etwas anderes. Ich wusste, dass kein Notfall auf mich wartete, als er fragte, ob wir uns in der Redaktionsküche treffen wollten – niemand bespricht heikle Dinge in der Küche.

Ich möchte heute über Lukas' Vorschlag schreiben. Weil der Fall, so hoffe ich, ganz gut umreißt, was in einer Führungskraft (im Journalismus) vorgeht, wenn man eine operative Entscheidung mit weitreichenden Folgen treffen muss. Und nach unserem Gespräch war klar, dass ich den Daumen heben oder senken muss.

"Wir sprachen nicht über einen Einfall, der ein oder zwei Arbeitstage kosten würde, sondern das Team für Wochen, wenn nicht gar Monate beeinflussen würde."

Der Pitch, den Lukas auch für seinen Kollegen Niko einbrachte, war eine Idee mit Konsequenzen. Wir sprachen nicht über einen Einfall, der ein oder zwei Arbeitstage kosten würde, sondern das Team für Wochen oder Monate beeinflussen würde.

Die Idee lautete: "Wir könnten uns einen Podcast über die Karriere von Toni Kroos vorstellen." Und es wurde, so wünscht man sich das, direkt konkret. Er nannte eine mögliche Struktur, Gesprächspartner:innen, eine Storyline. Lukas und Niko hatten nicht nur einen Einfall, sondern ein Konzept.

Unser Gespräch dauerte zehn Minuten. Danach arbeitete es in mir. Ich war sofort von der Idee überzeugt, versuchte aber, mich zu bremsen, um meine Redaktion vor einem möglichen Fehler zu bewahren. Also ging ich auf die Suche nach möglichen Stolpersteinen.

Heute wisst ihr: "Toni Kroos – The Underrated One" ist seit einigen Wochen überall zu hören, wo es Podcasts gibt.

Warum?

Hier könnt ihr den Trailer von "Toni Kroos – The Underrated One" hören:

Watson ist ein Newsportal für junge Menschen. Wir machen Nachrichten und richten uns im Markenkern an alle, die zwischen 18 und 35 Jahre alt sind. Und das tun wir ohne Bezahlschranke. Daraus ergeben sich für mich als Chefredakteur für den Gesamterfolg folgende qualitative und quantitative Ziele:

  • Wir wollen jeden Tag ein Nachrichtenangebot online bringen, das unseren journalistischen Ansprüchen entspricht und Menschen möglichst optimal informiert und unterhält.
  • Das Angebot muss zu unserer Marke passen: In der Mischung wollen wir eine Homepage anbieten, die junge Menschen anspricht. Wir freuen uns auch über ältere Leser:innen, aber der Antrieb meines Teams ist, dass die Gen Z und die Gen Y bei uns vorbeischauen und sagen: Das ist ein anderes Newsportal im Vergleich zu all den anderen Nachrichtenseiten.
  • Mit allen Artikeln, die wir schreiben, müssen wir am Ende genügend Leser:innen erreichen, die auf unsere Texte klicken. Wir finanzieren uns durch Werbung, um unseren Leser:innen unseren Content ohne Bezahlschranke anzubieten. Die Anzeigen bezahlen die Gehälter unserer 35-köpfigen Redaktion.

Und dann kommt Lukas mit einem Podcast-Einfall um die Ecke.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es gibt wenig, was ich mir mehr wünsche, als Kolleg:innen, die mit guten, verrückten, riskanten Ideen auf mich zukommen. Weil es mein Job ist, alle drei genannten Ziele zu vereinen, muss ich dann in diesen Momenten in Ruhe bewerten, ob ein solches Mammutprojekt sinnvoll ist.

Meldung

Klar war: Zu unserem Newsangebot würde ein solcher Podcast hervorragend passen. Zu unserer Marke und unserer Zielgruppe auch, weil Toni Kroos der erfolgreichste deutsche Fußballer ist, den die Gen Z je live hat Fußball spielen sehen. Hinter die Ziele eins und zwei konnte ich also schnell einen Haken machen. Aber beim Traffic gab's Zweifel.

Zum einen läuft die Vermarktung von Podcasts anders als von Texten. Zum anderen wusste ich, dass ein solches Podcastprojekt Zeit kosten würde. Lukas und Niko würden sechs, acht Wochen Folgen schreiben, Podcasts schneiden, auf Interviewreisen sein. Sie würden aus dem Dienstplan verschwinden und keine Texte mehr schreiben. Texte, die wir für Ziel Nummer drei dringend benötigen.

Hinzu kommt die Führung des restlichen Teams: Wir haben vier Kollegen im Sport. Wenn zwei entschwinden, müssen die beiden anderen am Newsdesk Lücken stopfen. Und Lukas und Niko sind stellvertretende Chefs vom Dienst. Auch hier drohten Organisationsprobleme.

"Ja, das Risiko ist da. Aber: Wenn die Wette aufgeht, ist der Gewinn für watson umso größer."

All das wusste ich. Und dennoch sagte eine Stimme in mir: Wir müssen das machen.

In mir dominierte die Erkenntnis: Ja, das Risiko ist da. Aber: Wenn die Wette aufgeht, ist der Gewinn für watson umso größer. Wir können mit einem Podcast Menschen erreichen, die uns bisher nicht so sehr auf dem Schirm haben. Und wir können mit dem Konzept der Kollegen ein Angebot schaffen, das in dieser Form nur wir haben.

In dieser Hoffnung bestärkte mich eine Zahlenanalyse, die auch Lukas mir schon in der Redaktionsküche sagte: "Wir glauben dran, weil die Texte, die wir über Toni Kroos schreiben, fast alle erfolgreich sind." Auch das war für mich ein wichtiger Faktor.

Hier hörst du Folge 1 unseres watson-Podcasts:

Das Schlimmste, was hätte passieren können, ist: Lukas und Niko stürzen sich auf ihr Projekt, investieren viel Liebe und noch mehr Überstunden – und am Ende hört kein Mensch den Podcast. Dann wären sie frustriert. Und mit ihnen die Kolleg:innen, die ihnen den Rücken freigehalten haben.

Jedoch: Wir wussten, dass wir Fans von Toni Kroos mit unseren Texten erreichen. Wir überlegten uns, wie wir auf diesem Weg genau diese Sportinteressierten auf den Podcast aufmerksam machen können. Und waren überzeugt: Das kann funktionieren.

Weil ich Lukas und Niko zutraute, den Podcast in Eigenregie auf die Beine zu stellen, sagte ich im Frühjahr in einem Meeting diesen einen Satz: "Dann lasst uns das jetzt einfach machen."

Wie erfolgreich der Podcast am Ende sein wird, kann ich noch nicht final beurteilen. Aber es deutet sich an, dass wir auf einem sehr, sehr guten Weg sind. Jeden Tag kommen Hörer:innen hinzu, wir sind in den Spotify-Charts vertreten, wir bekommen von allen Seiten Lob ab.

Es hätte auch alles anders laufen können. Vor allem hätte ich Nein zu "Toni Kroos – The Underrated One" sagen können. Jedoch: Ich bin nicht Führungskraft geworden, um auf Nummer sicher zu gehen oder mich mit dem Status quo zufriedenzugeben.

Ich habe Verantwortung übernommen, um im richtigen Moment auch mal etwas zu riskieren; um mein Team journalistisch voranzubringen; um tolle Kolleg:innen einfach mal machen zu lassen; um große Projekte so zu organisieren, damit am Ende die Pläne aufgehen; um für Leser:innen Journalismus zu machen, den sie gerne konsumieren.

Doch zur Wahrheit gehört auch: Operative Entscheidungen können kompliziert sein. Und nicht immer liegt man richtig. Das zu akzeptieren, musste ich als junge Führungskraft lernen. Auch dann muss man zu seinem Entschluss stehen – und die richtigen Lehren ziehen. Denn: Entscheidungen zu treffen, ist eine der wichtigsten Aufgaben im Leben einer Führungskraft.