EM 2024: Zwischen Hund und Hummels – das knuffigste Public Viewing Deutschlands

Deutschlandweit verfolgen Fans die Partien des DFB-Teams beim Public Viewing, hier in Stuttgart. Unser Redakteur hat sich eine Alternative angesehen

Die Bierzeltgarnitur steht, die Tische sind gespickt mit Servietten in Fußballoptik und Lampions in Deutschland-Farben. Die metergroße Leinwand ist ausgerollt, der Beamer zeichnet mit seinen Lichtstrahlen bereits das Innere eines Stadions. Der Grill läuft langsam heiß, die Getränke hingegen sind auf ein erfrischendes Maß gekühlt.

Am Mittwochabend ist alles angerichtet fürs Public Viewing, auf dem Programm steht das zweite Spiel der DFB-Elf bei der EM 2024. Die deutsche Nationalmannschaft trifft auf Ungarn, will nach dem fulminanten 5:1-Auftaktsieg gegen Schottland einen weiteren Dreier nachlegen, den Einzug ins Achtelfinale eintüten.

Wir sind nicht in einer Fanzone oder einem Biergarten, sondern im Tierheim Berlin.

Nein, du hast dich nicht verlesen. Die aktuelle Heimat von rund 1300 Tieren hat am Mittwoch erstmals Fans zum Fußballschauen eingeladen.

Dahinter steckt eine Idee des Marketingteams. Um die Spiele des DFB-Teams zu schauen, treffen sich viele Menschen ohnehin in kleineren oder größeren Runden, seit 2006 ist Public Viewing fast schon deutsches Kulturgut. Warum also nicht im Nordosten der Hauptstadt zusammenkommen und dabei auch noch etwas Gutes tun?

Inwiefern eine mal schimpfende, mal jubelnde Gruppe an Menschen hilfsbedürftige oder nach einem neuen Zuhause suchende Tiere unterstützen kann? Mit Geld. Eine staatliche Finanzierung gebe es nicht, laut einer Sprecherin werden pro Jahr 13 Millionen Euro an Spendengeldern benötigt, um sich in angemessenem Maße um das Wohl der Tiere zu kümmern.

Im Tierheim Berlin ist das Bier günstiger als in der Fanzone

Interessierte können Patenschaften übernehmen oder monatlich spenden. Oder aber sie schauen beim "Pawblic Viewing" vorbei, wie das Event in Anspielung auf das englische Wort für Pfote offiziell heißt. Die Eintrittskarten sind zwar kostenlos, vor Ort gibt es aber genügend Möglichkeiten, um den einen oder anderen Euro dazulassen.

An einem Stand gibt es hauseigenen Merch, dazu zählen unter anderem Tassen, Beutel und Shirts. An einem anderen Tisch stehen Spielsachen für Hunde und Katzen zum Verkauf, auch Leinen können erstanden werden. Das größte Gedränge aber herrscht auf einer Terrasse neben dem Raum, in dem das Deutschland-Spiel gezeigt wird.

Dort nämlich steht der Grill, direkt daneben bekommen die Gäste zudem Getränke. In Anbetracht der Preise aus den Stadien oder den Fanzones der Republik dürften sich einige die Augen reiben: Das Bier kostet vier Euro, die Bratwurst 3,50 Euro. Heutzutage echte Schnäppchen.

"Pawblic Viewing": Verpflegung ist vegetarisch und umweltschonend

Natürlich wird dabei auf Tierwohl und Umwelt geachtet: Die Würste sind vegan, auf Weizenbasis. Sämtliche Getränke wiederum werden entweder in Glasflaschen oder in Pappbechern ausgehändigt. Auch die anderen Lebensmittel, namentlich Grillkartoffeln und Cupcakes, sind vegetarisch.

Sämtliche Einnahmen kommen an diesem Abend dem Tierheim zugute. Wer keine Gegenleistung benötigt, kann an einem Spendenautomaten eine beliebige Summe per Karte überweisen.

Die deutschen Torschützen unter sich: Musiala (rechts) und Gündogan trafen gegen Ungarn.

Welche Summe rund um das DFB-Spiel somit zusammenkommt, lässt sich am Mittwochabend noch nicht klären. Eine Dame aber berichtet vom Kauf einer Tasse und einer Mahlzeit, aufgerundet hat sie dabei auf 20 Euro. 90 Gäste sind zugegen, bei vergleichbaren Ausgaben käme man also auf fast 2000 Euro an Spendengeldern.

Verglichen mit den jährlich benötigten 13 Millionen Euro mag dies verschwindend gering erscheinen, tatsächlich entspräche dies aber etwa der einmonatigen Futterversorgung von 60 Katzen.

Dass es beim "Pawblic Viewing" um das Wohl der Tiere geht, wird den rund 90 Gästen aber nicht nur beim Blick auf die vielen Spendenmöglichkeiten oder die Speisekarte deutlich. Vor dem Beginn des Public Viewings gibt es bereits eine Führung über die Anlage des Tierheims. Etwa 15 Personen lassen sich dabei über die Unterbringung und Versorgung von Katzen, Hunden oder Kaninchen informieren.

Gäste dürfen ihre Hunde zum DFB-Spiel mitbringen

Das wahre Highlight tapst aber erst später in den großen Saal, in dem auch die Leinwand hängt. Denn Gäste können nicht nur mit Kind, Partner oder Großmutter vorbeischauen, sondern auch mit ihrem Hund.

Auf einem gewöhnlichen Public Viewing unvorstellbar, allein schon aufgrund des dichten Gedränges ergäbe sich dort eine furchtbare Situation für die Vierbeiner. Im Tierheim ist das anders, es ist genügend Platz für alle.

Mehr als ein Dutzend der Gäste nimmt die Gelegenheit wahr, bezaubert so die anderen, die Hundelosen. Besonderes Begeisterungspotential etwa steckt Pauli, einem 14-jährigen Silberpudel. Frauchen und Herrchen haben ihn vor viereinhalb Jahren adoptiert, er lebte zuvor im Tierheim Berlin.

Bei der Rückkehr an seine alte Heimat hat Pauli offensichtlich einen Auftrag: möglichst viele unterschiedliche Hände in seinen silberglänzenden Locken einfangen. Er hat Erfolg, seiner freundlich ans Bein stupsenden Nase kann niemand widerstehen, dem flauschigen Feeling seines Fells ebenso wenig.

Eine Halbzeitanalyse benötigt so niemand, stattdessen findet ein reger Austausch über die Hunde statt. Rasse, Herkunft, eine auf den Dackelkörper zugeschnittene Hawaiikette in Deutschland-Farben – es mangelt nicht an Gesprächsthemen.

Dass ein Fan das Trikot des nicht berufenen Mats Hummels trägt, gerät da zur Nebensächlichkeit. Bemerkenswert ist hingegen: Der Großteil der Vierbeiner nimmt all das gelassen hin. Lediglich ein Jungtier ist ob des Trubels etwas aufgekratzt, bellt die anderen Hunde regelmäßig an.

Die anderen Vierbeiner nehmen die 90 Minuten weitestgehend entspannt hin, die beiden deutschen Tore von Jamal Musiala und İlkay Gündoğan werden aber sehr wohl bebellt. Womöglich ist das einfach das Hunde-Äquivalent zum Jubelschrei.

Ein zweites "Pawblic Viewing" wird schon geplant

Möglich ist die entspannte Atmosphäre auch deshalb, weil die Gäste Rücksicht auf die Tiere nehmen. Tröten und Vuvuzelas hat niemand dabei, auch das große Gekreische oder Grölen bleibt aus.

Als der Schlusspfiff ertönt, Deutschland hat Ungarn mit 2:0 geschlagen und damit tatsächlich schon nach dem zweiten Spiel das Achtelfinale erreicht, steht für Paulis Frauchen daher schon fest: "Wir würden wiederkommen, wenn es das nochmal gibt."

Meldung

Und tatsächlich laufen im Hintergrund bereits die Planungen. Zum Finale am 14. Juli könnte das Tierheim Berlin Fußballfans und Hundeliebhaber erneut einladen. Mit auf dem Programm könnte dann auch eine Auktion stehen. Einige Prominente hätten für den Verkauf eingeplante Artikel bereits signiert, deutet eine Mitarbeiterin an.

Es dürfte sich also für alle Seiten lohnen: finanziell für das Tierheim, als Gemeinschaftsevent für alle Gäste. Und natürlich für den wollig-weichen Pauli, der dann wieder dutzende Hände mit seinen Locken einfangen wird.