Bill Kaulitz über erfolgloses Dating: "Ich bin ein Magnet für Arschlöcher"

Bill Kaulitz bei einem Auftritt mit seiner Band Tokio Hotel.

Er hat lange nicht öffentlich über seine Sexualität gesprochen. Geändert hat sich das erst mit seiner Biografie "Career Suicide", in der er vor drei Jahren auch sein Coming-out hatte. Und jetzt ist Bill Kaulitz das Gesicht einer neuen Tinder-Kampagne für die LGBTQIA+-Community, in der er ganz offen sagt: "Ich stehe auf Männer."

watson: Was war das für ein Weg bis zu deinem Coming-out und wie viel Mut, aber auch welche bitteren Momente gehörten für dich dazu?

Bill Kaulitz: Das Schöne ist, dass ich privat immer ein super gutes Support-System hatte. Ich hatte ein tolles Elternhaus mit ganz viel Liebe, wo ich nie Sachen verheimlichen musste. Ich musste nie einen Freund vor meiner Mama verstecken, die immer meine beste Freundin war. Ich musste mich nie erklären oder rechtfertigen. Genauso war es mit meinem Bruder und den Jungs, mit denen ich seit zwanzig Jahren in der Band bin. Ich habe zum Glück ganz tolle Freunde gehabt. Das machte es für mich privat zu einem sehr einfachen Weg.

Wie war der Weg für die öffentliche Person Bill Kaulitz?

Ich habe zwischen Bill auf der Bühne und in der Öffentlichkeit und Bill, der privat ist, eine klare Grenze gezogen. Die habe ich erst aufgelöst, als ich bereit dafür war. Als ich keinen Unterschied mehr machen wollte zwischen den beiden.

Warum hast du so lange gewartet?

Ich habe meine Sexualität in der Öffentlichkeit viele Jahre verheimlicht, weil ich es musste. Weil viel Druck da war, vom Management und der Plattenfirma. Der Sänger von Tokio Hotel musste Single sein, damit er begehrenswert ist. Ich durfte mich nie klar zu meinen Beziehungen äußern, damit die jungen Mädchen alle begeisterungsfähig bleiben. Das fühlte sich an wie ein Rucksack, den ich mit mir rumgetragen habe und den ich mit meiner Biografie endlich abwerfen konnte. In den letzten Jahren habe ich gemerkt, wie viel leichter und schöner das Leben ist, wenn man keine Geheimnisse mit sich rumträgt.

Aber an welchem Punkt hattest du genug?

In dem Moment, wo ich gesagt habe, ich schreibe meine Autobiografie, wollte ich so ehrlich sein wie möglich. Mit der Entscheidung war es für mich gar keine Option mehr, nicht auch über mein Liebesleben zu schreiben. Denn das bin ich. Ich bin ein total romantischer Mensch, der die Liebe liebt und feiert.

In der Tinder-Kampagne geht es auch um Vorurteile und Homophobie. Was hast du selbst erlebt?

Die ersten Klischees und Vorurteile habe ich schon in der Schulzeit erfahren. Ich bin in einem ganz kleinen Dorf aufgewachsen, wo die Leute nicht sehr weltoffen sind, wo es auch schwierig war mit meinem Styling, weil ich sehr aufgefallen bin. Da gab es ganz viel Homophobie und da habe ich ganz dramatische Sachen mitgemacht wie verprügelt werden im Schwimmbad und festgehalten werden. Das war scary. Viele Situationen haben mir als Teenager Angst gemacht. Glücklicherweise hatte ich meinen Bruder, dadurch war ich nie allein damit. Anders hätte ich das wahrscheinlich nicht überlebt oder den Mut gehabt, so zu sein wie ich war.

Gibt es eine Situation, die dir bis heute nachhängt?

Ich hatte ein weißes Sport-Outfit und mein Sportlehrer hat sich deshalb geweigert, mich bei den Jungs zu unterrichten. Er sagte, dass ich damit zu den Mädchen müsste. Meine Mutter war regelmäßig in der Schule und musste sich immer rechtfertigen und galt als alleinerziehende Mutter mit den schwererziehbaren Zwillingen. Wir waren für die anderen die komischen Freaks. In der Region und zu der Zeit war das für mich eine sehr harte Schule.

Bist du heute noch konfrontiert mit Homophobie?

Inzwischen bin ich da absolut privilegiert. Ich habe mir eine Blase geschaffen, in der alles gut ist. Los Angeles, wo ich lebe, ist bunt und laut und du kannst frei sein. Aber wenn du in Amerika mal ein bisschen weiter ins Inland fährst, sieht das ganz anders aus.

Wenn wir über Tinder sprechen, müssen wir auch über Dating sprechen: Datest du gerade?

Ich habe jemanden gedatet. Leider wurde mir gerade wieder das Herz gebrochen, daher bin ich aktuell wieder Single. Ich war super lange nicht mehr in einer Beziehung. Daten ist auch nicht so easy, finde ich. Aber ich bin immer Dating-bereit.

Hast du Online-Dating probiert?

Ob man es mir glaubt oder nicht – weil ich auf der Bühne und vor der Kamera immer sehr selbstbewusst bin – beim Dating bin ich eine schüchterne Maus. Leute anzusprechen oder jemanden auf einen Drink einladen, könnte ich nie machen. Und Tinder zum Beispiel ist auch ein Safe-Space. Da kann man sich abtasten, abklopfen, kennenlernen. Online-Dating fällt mir viel, viel leichter.

Wie funktioniert das, wenn man Bill Kaulitz ist?

Wenn Männer mein Profil auf Tinder sehen, denken viele, das ist ein Fake-Account, obwohl ich mein Profil verifiziere. Aber ich tinder natürlich auch international. Und in Amerika, wo nicht alle wissen, wer ich bin und was ich mache, geht das eher klar.

Bill Kaulitz mit seinem Zwillingsbruder Tom.

Woran scheitert es dann?

Ich habe einen schlechten Männergeschmack. Ich bin ein Magnet für Arschlöcher. Ich ziehe einfach Arschlöcher in mein Leben. Aber ich finde die auch irgendwie sexy. Und das ist das Problem. So gerate ich immer an die Falschen. Dieses Muster muss ich unbedingt mal auflösen.

Wie gehst du damit um, wenn in der Öffentlichkeit Fotos von dir und einem Mann auftauchen – wie im vergangenen Jahr mit Marc Eggers?

Mit Marc Eggers war es das erste Mal, dass ich öffentlich einen Mann geküsst habe. Das war neu für mich. Das ist mir auch erst aufgefallen, als ich die Fotos dann im Netz gesehen habe. Wenn man keine Geheimnisse kreiert und schafft und hat, sondern so authentisch wie möglich ist, dann lässt es sich viel einfacher leben. Natürlich küsse ich Männer – und wenn das jemand fotografiert, dann ist das eben so. Aber damit habe ich überhaupt kein Problem.

Eher One-Night-Stand oder feste Beziehung?

Feste Beziehung, auch wenn das bei mir schon lange her ist. Ich verliebe mich nicht so einfach. Daher habe ich auch so viele One-Night-Stands. Aber wenn ich es mir aussuchen kann, nehme ich auf jeden Fall die feste Beziehung.

Fürs erste Date lieber zum Candle-Light-Dinner oder mit einem Bier in den Park?

Lieber mit einem Bier in den Park. Da ist irgendwie mehr los. Ich mag Dates mit ein bisschen Action. Ich hatte neulich ein Date in einem Freizeitpark. Das fand ich sehr gut. Da erlebt man direkt Sachen zusammen, man sieht, wie der andere in Extremsituationen reagiert und vielleicht kann man auch noch ein paar Freunde mitnehmen.

Ab 25. Juni läuft auf Netflix eure Doku "Kaulitz & Kaulitz", für die du rund um die Uhr von Kameras begleitet wurdest. War das nicht sogar dir ein bisschen viel?

Wenn ich mich auf sowas einlasse, dann komplett. Deshalb habe ich die Kameras auch in mein Schlafzimmer gelassen. Ich wollte alles zeigen, was zu mir gehört – und nicht schon wieder Grenzen aufzeigen, wo wir nicht drehen. Dann schneide ich lieber im Nachhinein Szenen raus.

Welche Szenen hast du rausschneiden lassen?

Ungelogen, ich habe gar nichts rausschneiden lassen. Im Gegenteil. Am Ende war es so, dass ich zusätzlich noch Szenen mit drin haben wollte. Da muss man auch uneitel sein. Wenn ich mit Hangover und verpennt morgens im Bett gefilmt werde, dann ist das natürlich kein schöner Beauty-Shot. Aber eine Reality-Doku muss doch real sein. Dazu gehört das Liebesleben, Marc Eggers ist darin zu sehen und ich will das alles zeigen, weil es dazugehört. Ich fände es komisch, das im Nachhinein zu beschneiden.

Und Heidi Klum wird auch zu sehen sein?

Tom und ich sind uns so nah, dass der Partner immer beide bekommt. Das wusste Heidi von vornherein. Sie hat uns zusammen kennengelernt und war die erste Frau, die das wirklich verstanden hat. Sie wusste, sie hat einen Zwilling geheiratet. Wir sind super nah und lieben uns total – und das würde anders auch gar nicht funktionieren. Wir führen eine Ehe zu dritt.