Misogynie unter Frauen in der Medizin: Das Problem ist größer als gedacht

In der Theorie sollten sich Ärztinnen gegenseitig unterstützen. In der Praxis sieht es anders aus.

Julia Saliger ist angehende Ärztin. In ihrer watson-Kolumne schreibt die 25-Jährige über ihr Leben, ihre Emotionen und ihre Erfahrungen zwischen Kittel, Klinik und Kaffeeküche.

Mich beschäftigt das Thema des Konkurrenzkampfes unter Frauen sehr. Nicht, weil ich mich aktiv dafür entscheide oder besonders dafür interessiere. Sondern, weil ich es an mir als junge Medizinerin selbst oft erlebe. Ob ich will oder nicht.

Ich bin da nicht stolz drauf. Im Gegenteil. Aber ich habe in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, mich bewusst damit auseinandersetzen zu müssen, wie Frauen miteinander umgehen. Nicht nur, um die Problematik selbst umreißen zu können, sondern auch, um selbst meinen Teil dazu beizutragen, damit manche Dinge endlich besser werden.

Ich möchte ehrlich sein: Nicht selten begegne ich selbst anderen Frauen im Feld der Medizin mit den führenden Vorurteilen – obwohl ich mich selbst für feministisch und aufgeklärt halte.

Lerne ich Frauen in führenden ärztlichen Positionen kennen, bin ich immer wieder stolz für "mein" Geschlecht. Obwohl es mich nicht überraschen sollte, schließlich sehe ich mich in Zukunft selbst einer erfolgreichen Karriere nachgehen.

Ohne Zweifel und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass der Anteil an Frauen in Führungspositionen auch in der Medizin verschwindend klein ist.

Julia Saliger macht in München ihr Praktisches Jahr. Hier findest du sie auf Tiktok.

Wir haben es geschafft, dass sexistische Strukturen und auch Handlungen in Politik und Gesellschaft thematisiert werden. Jahrzehntelang täglich toleriertes Verhalten wird endlich kritisiert, Veränderung regelrecht erzwungen.

Aber misogynes Verhalten unter Frauen beschweigen wir beschämt. Denn damit müssten wir uns eingestehen, selbst Teil des gegenwärtigen Problems zu sein, über welches wir uns gut und gerne auslassen. Deshalb greife ich es in meiner Kolumne "Medizin hautnah" bewusst auf. Denn das Problem ist größer, als ich es mir je gedacht hätte.

Wer nur halbwegs bewandert mit Social Media ist, wird über den einen oder anderen "Girls support Girls"- oder "Girl's Girl"-Post gestoßen sein, in dem sich Frauen dafür stark machen, ihr eigenes Geschlecht bedingungslos zu supporten. Und damit einen Kontrast zur breiten Masse darstellen wollen.

Seien wir ehrlich: Der Realität in der breiten Masse entspricht das selten. Und was sagt das über uns Frauen eigentlich aus, dass wir das überhaupt so betonen müssen? Woher stammt die zu beobachtende Konkurrenz zwischen Frauen?

Neulich hörte ich folgenden Satz: "Es ist, als hätten Frauen jetzt auch den Schwanzvergleich gelernt." Ich finde, das trifft den Nagel auf den Kopf.

Und was, wenn ich meine feminine Seite als Ärztin mag?

Wir sprechen von einer geschlechtergerechten Gesellschaft, doch nicht nur die Karriereleiter für Frauen bleibt nach wie vor mühsamer zu erklimmen als für unsere männliche Konkurrenz. Spätestens, wenn die Frage der Familienplanung beim Bewerbungsgespräch in den Raum geworfen wird, ist klar: von Gleichberechtigung fehlt hier jede Spur.

Das gilt auch in der Medizin. Und es gilt erst recht zu oft, wenn auf der anderen Seite des Tisches eine Frau sitzt.

Täglich müssen wir unsere Kompetenz neu beweisen, müssen zeigen, dass sie nicht durch unser Geschlecht negativ beeinflusst wird. Es ist, als würden wir in unsere eigene kleine Arena gesteckt werden und die Maskulinste von uns gewinnt. Frei nach dem Motto: Welche Ärztin schafft es, der beste Arzt zu sein?

Ich spüre regelrecht, wie uns von klein an beigebracht wurde, miteinander zu konkurrieren. Damit wir dann mit einem "Sieg" ein Stück weit mehr zu einer von Männern dominierten medizinischen Welt zu gehören.

Ich stelle mir jedoch die Frage, ob das unser Ziel sein sollte. Denn: Ich liebe meine feminine Seite. Ich liebe es, emotional und mitfühlend zu sein. Ich liebe es, mich schön zu kleiden und mein rosa Stethoskop zu tragen.

Ich liebe es, mit all diesen Eigenschaften eine tolle Ärztin zu sein. Das lasse ich mir auch von Kolleginnen nicht schlechtreden, die für sich entschieden haben, den männlichen Weg zu gehen. Einen männlichen Weg, von dem wir uns als Frauen wünschen, dass er endlich Geschichte ist.

Meldung

Ich möchte dafür einstehen, die Verbindung femininer Verhaltensweisen von meinem Ansehen und Respekt in der Arbeitswelt zu entkoppeln. Gemeinsam mit anderen Ärztinnen.

Auch ich dachte zuerst, ich müsse mich in den Konkurrenzkampf stürzen; die Misogynie mit meinem eigenen Verhalten befeuern, um voranzukommen. Der andere Weg war der holprige, aber: Es ist ein großartiges Gefühl, eigene Vorurteile und Verhaltensweisen zu durchbrechen.

So erschreckend es sein mag, sich einzugestehen, ein Teil des Problems zu sein, so befreiend fühlt es sich im Nachgang an, einen positiven Teil beigetragen zu haben, damit sich Dinge ändern. Schritt für Schritt. Und dazu gehört auch: Man muss anderen Medizinerinnen sagen, dass sie Frauen im Weg stehen. Dass wir sie brauchen, damit nicht nur unter Kolleg:innen, sondern auch bei Patient:innen Dinge im Kopf verändern.

Wir können es uns nicht länger leisten, dass Frauen in der Medizin kleingehalten werden. Und wir dürfen es uns vor allem nicht länger gefallen lassen.