EM 2024: Wieso das Heimturnier bei den deutschen Fans Sehnsüchte weckt

Zu den DFB-Spielen strömen die deutschen Fans in die Fanzones, hier am Brandenburger Tor.

In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.

Unmittelbar vor den ersten Achtelfinalspielen ist es Zeit für eine Zwischenbilanz zur EM 2024. Abgesehen von dem nicht einlösbaren Versprechen, eine Klima-EM durchzuziehen, und einigen organisatorischen Schwierigkeiten in der Logistik sowie bei der An- und Abreise (ein Gruß an die Deutsche Bahn), erleben wir seit dem 14. Juni ein ebenso spannendes wie stimmungsvolles Fußballfest im Herzen Europas.

Wieder einmal erweist sich die Lage Deutschlands als Standortvorteil, denn Fans aus unseren neun Nachbarländern können im Nu anreisen. Aber auch alle anderen haben vergleichsweise kurze Wege ins Gastgeberland.

Fanforscher und watson-Kolumnist Harald Lange.

Hier trifft die internationale Fangemeinde auf eine gastfreundliche deutsche Fankultur, die sich vom Stimmungsimport aus Schottland, den Niederlanden und anderen Nationen beeindrucken und teilweise auch mitreißen lässt.Es ist viel los auf den Fanmeilen, in den Innenstädten, beim Public Viewing und in den Kurven der Stadien.

Vor allem Schottland hinterlässt bei EM 2024 bleibenden Eindruck

Das Wichtigste: Wir erleben bislang eine sichere EM. Die Polizei ist überall präsent, agiert aber defensiv zurückhaltend. Einzelne Vorfälle, Schlägereien und radikale Statements werden im Keim erstickt und ohne großes Aufsehen beschwichtigt. Wir alle halten die Daumen, dass es in dieser Hinsicht genauso weitergehen mag.

Inzwischen kursiert eine Petition, deren Initiatoren regelmäßige Freundschaftsspiele gegen Schottland fordern. Ein weiterer Beleg für die Faszination, die von dem leidenschaftlichen Support der Bravehearts ausgeht. Mehr als 200.000 Schotten besuchten unser Land während der Vorrundenspiele, wohl wissend, dass die Chancen ihres Teams überschaubar sein werden.

So ist es denn auch in sportlicher Hinsicht eingetreten. Die Schotten sind wieder einmal früh ausgeschieden, können sich aber auf Fans verlassen, die bedingungslos zu ihnen stehen und das auch ebenso selbstbewusst wie lautstark zeigen.

Die besagte Petition ist genau von dieser Stimmung inspiriert. Hier offenbart sich eine Sehnsucht der Fankultur, die sich in den zurückliegenden Jahren um unsere Nationalmannschaft aufgebaut hat. Bis zum WM-Titel 2014 wurden die deutschen Fans vom Erfolg verwöhnt. Danach wurden sie gemolken.

Der DFB hat sich brave Fans fürs Nationalteam gezüchtet

Der DFB baute einen exklusiven Fanklub auf, in dem er ein zahlungswilliges Eventpublikum versammelte. Brav, angepasst und zum moderaten Applaus bereit. Aber längst nicht so eigenwillig, traditionsbewusst, kritisch und protestbereit, wie wir das aus den Fanszenen unserer Bundesliga-Klubs kennen.

Der DFB reagiert auf die Schottland-Petition ganz anders als auf die Petition zur Torjubelhymne (Major Tom). Bislang will man in der DFB-Zentrale nichts von einem regelmäßigen Fanfest mit den Schotten wissen und reagiert mit Blick auf den prall gefüllten internationalen Terminkalender ablehnend.

Schade, aber vielleicht fällt den Herren aus der Chefetage ja eine Alternative zu dieser Idee des Stimmungsimports ein. Das wäre allen Beteiligten zu wünschen, denn diese EM zeigt uns überaus deutlich, wie weit uns die Fankulturen in den Nachbarländern bei der Unterstützung ihrer Nationalmannschaften enteilt sind.

Werden Schotten und Niederländer zum Vorbild für Deutschland?

Im Grunde ist das paradox, denn im Klubfußball beneidet uns ganz Europa um die Stimmung und Atmosphäre, die die Fans der Bundesliga an jedem Spieltag in die Stadien tragen. Bis weit runter in die halbprofessionellen Amateurligen.

Weshalb kommen diese Fans nicht zu den Spielen der Nationalmannschaft? Weshalb wird die Ablehnung gegenüber dem DFB in den Kurven des Landes beinahe als Reflex vorgetragen? Was ist zu tun, um diese Ausgangslage zu verändern?

Meldung

Immerhin, die Nationalmannschaft ist unter der Verantwortung von Rudi Völler etwas nahbarer geworden. Außerdem hat der DFB die Berater- und PR-Agenturen gewechselt und sich damit für eine neue, durchaus ironisch angehauchte Form der Fan- und Öffentlichkeitsarbeit entscheiden.

Genügt uns das? Brauchen wir noch mehr PR und Klamauk? Oder zeigt uns das Beispiel der Schotten, Niederländer und der vielen anderen Fankulturen etwas anderes auf? Lasst uns diese Entwicklung bis zum Endspiel am 14. Juli genau beobachten!