DFB-Team: Als Dänemark die deutschen EM-Hoffnungen zerstörte

Freude auf der einen, Enttäuschung auf der anderen Seite: Dänemark gewann das EM-Finale 1992 gegen Deutschland.

Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Es ist ein Satz, der inflationär und nicht immer im ernsthaften Kontext benutzt wird, wenn sich eine Kuriosität zuträgt oder eine Story überhöht dargestellt werden soll. Nicht wenigen Fans dürfte dieser Satz daher mittlerweile schon zu den Ohren heraushängen.

Im Falle des EM-Endspiels zwischen Deutschland und Dänemark im Jahr 1992 lässt er sich aber mit Fug und Recht benutzen. Dieser Satz beschreibt sowohl das Finale per se als auch den Auftritt der Dänen im kompletten Turnier. Denn es ist tatsächlich eine Geschichte, wie sie nur der Fußball schreibt.

Aber der Reihe nach. Als die EM 1992 in Schweden stattfindet, ist die Welt noch eine andere. Das DFB-Team befindet sich gerade auf einem Hoch, wurde zwei Jahre zuvor Weltmeister. Auch wegen der Wiedervereinigung des Landes wagte Franz Beckenbauer anschließend eine legendäre Prognose: "Auf Jahre hinaus wird unsere Nationalmannschaft unschlagbar sein."

EM 1992: Dänemark rückt für Jugoslawien nach

Über Dänemark mag dies niemand behaupten. 1988 scheiden die Dänen in der EM-Vorrunde aus, für die WM 1990 qualifizieren sie sich gar nicht erst. Und auch in der Qualifikation für die EM 1992 scheitern sie, werden hinter Jugoslawien nur Zweiter. Das genügt seinerzeit nicht, denn nur die Gruppenersten dürfen zur EM-Endrunde.

Die Welt aber ist nicht nur sportlich eine andere. Denn im Südosten Europas brechen die Jugoslawienkriege aus, über zehn Jahre zieht sich der blutige Zerfall des Riesenstaates im Balkan. Zehn Tage vor dem Beginn der EM 1992 wird das Land daher aus dem Turnier genommen, kurzerhand durch Dänemark ersetzt.

Die Skandinavier reisen aus dem Urlaub an, besagt der Mythos. Zumindest auf einen Teil des Kaders trifft dies tatsächlich zu, einige Spieler aber sind auch mit ihren Klubs noch unterwegs gewesen.

"Am nächsten Tag befanden wir uns schon im Trainingslager. Wir hatten aber nur die Hälfte unseres Teams zur Verfügung, weil die dänische Liga noch lief", erinnerte sich Torhüter Peter Schmeichel später. "Das letzte Ligaspiel war an einem Sonntag und bereits am folgenden Donnerstag begann für uns die EM."

Peter Schmeichel stand 1992 im dänischen Tor.

Da überrascht es auch nicht, dass die Dänen aus den ersten beiden Gruppenspielen nur einen Punkt holen. Dann aber zündet "Danish Dynamite". Dank eines 2:1-Sieges über Frankreich zieht Dänemark ins Halbfinale ein, räumt da im Elfmeterschießen die Niederlande aus dem Weg. Und plötzlich steht diese Mannschaft im Endspiel. Knapp drei Wochen, nachdem Teile des Teams noch im Urlaub gewesen waren.

DFB-Team im EM-Finale 1992 gegen Dänemark klarer Favorit

Trotz des bis dahin schon unglaublichen Laufs gelten die Skandinavier im Finale als klarer Underdog. Es geht an diesem 26. Juni immerhin gegen den auf Jahre vermeintlich unschlagbaren Weltmeister aus Deutschland. Der hatte in der Gruppenphase ebenfalls einen Sieg und ein Remis eingefahren, im Halbfinale dann Gastgeber Schweden besiegt.

"Die deutsche Mannschaft wird nicht den Fehler der Holländer machen, die Dänen zu unterschätzen. Die Holländer haben 70 Minuten fast geschlafen. Deutschland ist hier bei allen der klare Favorit", gibt sich Karl-Heinz Rummenigge, seinerzeit Co-Kommentator bei der ARD, vor Anpfiff siegesgewiss.

Schlafmützigkeit kann man der DFB-Elf anschließend wahrlich nicht vorwerfen. Vor den Augen von Weltstar Pelé und Franz Beckenbauer verlagert Deutschland das Geschehen früh in die gegnerische Hälfte.

Hoher Besuch: Pelé schaute beim EM-Finale 1992 von der Tribüne aus zu.

Der junge Matthias Sammer, damals 24, lässt bereits erkennen, warum er vier Jahre später den Ballon d'Or gewinnen wird. Der Dresdner treibt den Ball immer wieder nach vorne, legt Stefan Reuter früh eine Topchance auf. Schmeichel aber reagiert sensationell.

EM 1992: Erst ein Foul, dann ein Donnerschlag – Dänemark führt

"Schießen ist gut fürs Selbstvertrauen", analysiert Rummenigge weitere Abschlüsse des DFB-Teams. Aufs Ergebnis schlagen sie sich aber nicht nieder. Anders als das, was sich in der 18. Minute abspielen soll. Nach einer Balleroberung neben dem eigenen Strafraum wollen die Deutschen gerade neu aufbauen, als Kim Vilfort in Andi Brehme grätscht. Der WM-Held von 1990 bleibt am Boden liegen, die Kugel springt in der Folge zu John Jensen. Der zieht vom rechten Strafraumeck ab, donnert die Kugel unhaltbar in den rechten Winkel.

Weil Brehme behandelt werden muss, bekommen die Zuschauenden noch einmal das vorhergegangene Einsteigen zu Gesicht. Rummenigge hat direkt eine klare Meinung dazu: "Da hat sich Andi Brehme zu Recht beschwert." Es ist ein klares Foul, das Tor zählt Jahrzehnte vor der Einführung des VAR trotzdem.

Video: YouTube/UEFA

Das DFB-Team rennt in der Folge an, aber Jürgen Klinsmann scheitert am schnell abtauchenden Schmeichel, Stefan Effenberg erst an einem langen Abwehrbein und dann am Schlussmann. So gehen die Deutschen mit einem Rückstand in die Pause.

Enormes Zeitspiel: Dänemark mit zahlreichen Rückpässen

Sie kommen mit Einwechselspieler Thomas Doll und frischem Schwung wieder heraus. Es rollt Angriffswelle um Angriffswelle, der Durchbruch aber will nicht gelingen. Die dänischen Wellenbrecher schmeißen sich leidenschaftlich in alles hinein, auch mal direkt vor der eigenen Torlinie.

Und sie nehmen bei jeder Gelegenheit Zeit von der Uhr. Die Rückpassregel ist damals noch in der Mache, wurde ein Jahr zuvor bei der U17-WM getestet. Immer wieder passen die Dänen daher den Ball zu Torhüter Schmeichel, der kurz wartet und die Kugel dann aufnimmt. Rückblickend ein abstruses Bild, ein schier unglaubliches Zeitspiel.

Zur Erleichterung aller deutschen sowie neutralen Zuschauenden sollte es die letzte große Partie ohne die Rückpassregel sein, zur Saison 1992/93 wird sie eingeführt, in der Folge immer mal wieder angepasst.

EM 1992: Auch Dänemarks zweites Tor sorgt für Ärger bei DFB-Team

Davon hat Deutschland am 26. Juni 1992 freilich noch nichts. Und es ist nicht das einzige Ärgernis. Denn als Vilfort in der 78. Minute auf 2:0 für den Außenseiter erhöht, zeigt die Wiederholung schnell: Der Torschütze hat den Ball mit dem Arm mitgenommen. Das Schiedsrichtergespann aber übersieht auch diese Regelwidrigkeit.

Dass der leitende Unparteiische Bruno Galler nach der Partie seine Trillerpfeife an den Nagel hängt, hat dennoch nur Altersgründe.

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Deutschland wirft anschließend zwar noch einmal alles nach vorne, Joker Andreas Thom aber verfehlt das Tor aus bester Position ebenfalls. Es soll an diesem Tag nicht sein für das DFB-Team.

So krönen sich die Dänen schließlich zum ersten und bis dato einzigen Mal zum Europameister. In der EM-Geschichte stellt dieser Triumph bis heute, gemeinsam mit dem der Griechen 2004, die größte Cinderella-Story dar.

Aus dem Urlaub in den Fußball-Olymp, im Finale gegen den Weltmeister, ausgerechnet im Land des wenig geliebten Nachbarn Schweden. So plump es auch klingen mag, hier trifft es zu: Eine Geschichte, wie sie nur der Fußball schreibt.