EM: TV-Experte Christoph Kramer ist zu verliebt ins deutsche Team

Diskussion um TV-Experten

Zu verliebt in den deutschen Fußball

Christoph Kramer: Als Fußballer Weltmeister, als Experte extrem beliebt. (Quelle: Imago/Moritz Müller)

Christoph Kramer: Als Fußballer Weltmeister, als Experte extrem beliebt. (Quelle: Imago/Moritz Müller)

ZDF-Experte Kramer bekommt Lob und Bestnoten von allen Seiten. Ist der 33-Jährige schon der beste EM-Experte im TV?

Als Spieler durfte Christoph Kramer nur bei einem Turnier für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen: beim Gewinn des Weltmeistertitels in Brasilien 2014. Als TV-Experte für das ZDF ist die EM 2024 bereits sein viertes Turnier nach der EM 2021 und den Weltmeisterschaften 2018 und 2022.

Das ist durchaus ungewöhnlich, weil Kramer im Gegensatz zu den meisten anderen Experten selbst noch aktiv Fußball spielt. Mit seinen 33 Jahren gehört er zu den jüngeren TV-Gesichtern, steht noch bis 2025 bei seinem Verein Borussia Mönchengladbach unter Vertrag.

Effenberg außer Konkurrenz

Aufgrund der Zusammenarbeit und der damit einhergehenden mangelnden Objektivität hat die Redaktion den t-online-Kolumnisten Stefan Effenberg bei der Beantwortung der Frage nach dem besten EM-Experten nicht berücksichtigt. Effenberg ist im TV bei Sport 1 und RTL zu sehen, hier allerdings außer Konkurrenz.

Kramer ordnet die Spiele im ZDF an der Seite seines früheren DFB-Mitspielers Per Mertesacker ein, gemeinsam mit Moderator Jochen Breyer oder Katrin Müller-Hohenstein. Und wie schon bei den Turnieren zuvor bekommt Kramer an vielen Stellen Lob und Bestnoten.

Auch im TV-Zeugnis von t-online bekam Kramer die Note 1. "Er vereint Expertise und Emotion, spricht geradeheraus und scheut keine unbequeme Wahrheit", heißt es in der Begründung. Und das führt zu der Frage:

Ist Christoph Kramer der beste TV-Experte der EM?

Pro

Ist er mitunter etwas flapsig? Vergaloppiert er sich auch mal? Hat er einfach keine Ahnung von Politik und scheut deshalb Diskussionen, die über das Sportliche hinausgehen?

Auf jeden Fall.

Und trotzdem oder gerade deshalb ist Kramer der beste Experte der EM. Der neue Jürgen Klopp, welcher die Zuschauer von 2005 bis 2008 begeisterte. Ob im Ranking von t-online oder "Sport Bild": Kramer bekommt immer eine Note, die der Abiturient in der Schule vermutlich gern häufiger gehabt hätte – eine 1. Und das vollkommen zu Recht.

Kramer ist begeisterungsfähig, und zwar in jede Richtung. Er gestikuliert, sagt, was er denkt, und nimmt in Kauf, dafür auf die Mütze zu bekommen. Gerät er argumentativ ins Hintertreffen, zieht er die Zuschauer mit einem lustigen Spruch auf seine Seite. Er hat Ahnung von Taktik und gibt offen zu, wenn er eine Mannschaft sympathisch findet und eine andere nicht.

Dazu hat Kramer einen unschlagbaren Vorteil: Als aktiver Bundesligaspieler erlebt er vieles selbst – etwa den Video-Schiedsrichter.

Kramers Karriere als Experte ist wie die als Nationalspieler: Weltmeisterlich. Und das auf eine verrückte Art. Er bringt eine erfrischende Mischung aus Fachwissen, Humor und Authentizität in die Berichterstattung und damit eine wohlige Leichtigkeit in deutsche Wohnzimmer. Die gab es in der Form seit Thomas Gottschalk und "Wetten, dass..?" nicht mehr. Auch wenn jener Moderator war, nicht Experte wie Kramer.

Contra

Christoph Kramer ist sicher der beliebteste TV-Experte Deutschlands, aber nicht der beste. Er ist eloquent, hat mehr Ahnung von Fußball als die meisten. Und wenn man mit einem TV-Experten einen netten Abend verbringen wollte, dann sicher am liebsten mit ihm. Aber wenn man etwas Neues erfahren will, dann schaut man besser Michael Ballack (MagentaTV) und Bastian Schweinsteiger (ARD) zu. Denn Kramer ist mehr Entertainer als Experte, seine Auftritte im Duo mit Per Mertesacker haben Samstagabendshow-Charakter. Ballack und Schweinsteiger hingegen sind sachlicher, fußballanalytischer, und genau darauf kommt es als Experte an.

Kramer ist auch zu verliebt in den deutschen Fußball. Kritik am DFB-Team hört man von ihm nur selten. Klar, da gibt es aktuell auch nicht viel zu meckern, aber ein paar Punkte eben schon. Ballack und Schweinsteiger hingegen legen auch mal den Finger in die Wunde. Vielleicht ist es Kramers Nachteil, dass er aktiver Fußballprofi ist und fast jeden aus der Nationalmannschaft persönlich kennt.

Und auch sein ständiges England-Bashing nervt. Viele mögen sich darüber amüsieren, andere finden es aber unsachlich. Natürlich spielen die Briten aktuell keinen schönen Fußball, aber wer ungeschlagen ins Viertelfinale einzieht, der hat es auch verdient.

Außerdem hält er sich gerade bei sportpolitischen Themen gerne etwas zurück, überlässt Mertesacker die Bühne. Von einem Topexperten darf man erwarten, dass er sich auch in diesem Bereich auskennt und ausführlich darüber spricht.

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