Joe Biden und Emmanuel Macron ebnen Demokratiefeinden den Weg

Tagesanbruch

Die Tragödie hat begonnen

Joe Biden und Kamala Harris: Der Präsident sollte Platz für einen anderen Kandidaten machen. (Quelle: Patrick Semansky/AP)

Joe Biden und Kamala Harris: Der Präsident sollte Platz für einen anderen Kandidaten machen. (Quelle: Patrick Semansky/AP)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Popstars und Präsidenten, CEOs und Chefredakteure haben eines gemeinsam. Sie mögen die größten Babos weit und breit sein, Millionen Menschen inspirieren und in den beruflichen Olymp aufsteigen – aber sie machen ihr gesamtes Lebenswerk zunichte, wenn sie das Wichtigste missachten: Man muss wissen, wann es vorbei ist. Wer den Zenit seiner Schaffenskraft deutlich überschreitet, wird für sein Umfeld zur Belastung, davor schützt keine noch so große Errungenschaft. Die größte Leistung eines Leistungsträgers ist deshalb ein würdevoller Abgang.

Dieser ist Joe Biden nicht gelungen, im Gegenteil: Der 46. amerikanische Präsident ist drauf und dran, nicht nur sein politisches Lebenswerk zu zerstören, sondern auch der Demokratie schweren Schaden zuzufügen. Nach seinem kläglichen Auftritt im TV-Duell mit Donald Trump befindet sich Washington in heller Aufregung. In Wahlumfragen schmiert der Amtsinhaber ab, auch in wichtigen Swing States. In der Demokratischen Partei bahnt sich ein Aufstand an. "Die Rufe nach Bidens Rücktritt werden immer lauter", berichtet unser USA-Korrespondent Bastian Brauns. "Dem Präsidenten und seinem Team scheint die Kontrolle über die Berichterstattung zu entgleiten." Jeder weitere Tag, an dem sich der altersschwache Regierungschef ans Amt klammert, vergrößert die Chancen des Antidemokraten Trump, ins Weiße Haus zurückzukehren – was selbst nüchterne Kommentatoren in Panik versetzt.

All das ist offensichtlich, doch Biden wand sich tagelang, versuchte schönzureden, was nicht schönzureden ist: Er ist dem mächtigsten Amt der Welt nicht mehr gewachsen, he's not fit for office. Er sollte schleunigst Platz für einen jüngeren Kandidaten machen. Das ist es, was seine Berater ihm verklickern müssen; und dieser Prozess scheint nun begonnen zu haben: Gestern Abend deutscher Zeit meldeten die "New York Times" und CNN, Biden denke tatsächlich über einen Ausstieg aus dem Wahlkampf nach. Alle Demokraten – ob in Amerika oder in Europa – können nur hoffen, dass der alte Mann nicht lange grübelt, sondern schnell die einzig richtige Entscheidung trifft. Der heutige amerikanische Unabhängigkeitstag wäre eine gute Gelegenheit.

Selbstüberschätzung ist sündhaft und rächt sich. Wie oft haben Biden und sein Team betont: Er sei der Einzige, der Trump schlagen könne. Welch eine Hybris. Es ist dieselbe Arroganz, die den eitlen Emmanuel Macron glauben ließ, er könne mit einem Überraschungsmanöver die erstarkenden Rechtsextremen überrumpeln und bei einer Neuwahl triumphieren. Auch er hat exakt das Gegenteil erreicht: Millionen Franzosen ist sein selbstherrliches Gegockel so zuwider, dass sie ihn einfach nur noch loswerden wollen – selbst für den Preis, Fremden- und Europafeinden an die Macht zu verhelfen.

Männer, die meinen, nur sie selbst könnten ihr Land vor den Populisten retten, entpuppen sich als die wahren Wegbereiter des Populismus: Das ist die bittere Lehre aus den politischen Tragödiengestalten Biden und Macron. Sie legen selbst Feuer an das demokratische Bollwerk, das sie zu schützen vorgeben. Und die Nutznießer dieses Versagens können sich ins Fäustchen lachen – Russlands Putin und Chinas Xi vertiefen heute auf einem Gipfel in Kasachstan ihre Diktatorenfreundschaft, denn die beiden eint ein Ziel: Sie wollen die westlichen Demokratien in die Knie zwingen. Solange die Führungsmächte der freien Welt Selbstdemontage betreiben, stehen die Chancen leider nicht schlecht, dass ihnen das tatsächlich gelingt.


Ohrenschmaus

Joe Biden sollte sich einen Song der Ersten Allgemeinen Verunsicherung reinziehen: Die Ösis wissen nämlich Bescheid.


Die Briten haben die Wahl

Keir Starmer liegt in den Wahlumfragen weit vorne. (Quelle: Phil Noble/REUTERS)

Keir Starmer liegt in den Wahlumfragen weit vorne. (Quelle: Phil Noble/REUTERS)

Auch in Großbritannien klammerte sich die Regierungspartei viel zu lange an die Macht, wenngleich mit wechselnden Chefs. Damit dürfte nun Schluss sein: Wenn heute mehr als 46 Millionen Wahlberechtigte auf der Insel zum Urnengang aufgerufen sind, deutet alles auf einen klaren Sieg der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und ihres Anführers Keir Starmer hin. Der frühere Direktor der Staatsanwaltschaft in England und Wales hat versprochen, mehr Geld in die Infrastruktur zu investieren, einen stärkeren Fokus auf Armutsbekämpfung zu legen und das marode Gesundheitssystem zu verbessern. Nicht ausgeschlossen, dass die Tories von 365 Sitzen im 650 Plätze umfassenden Unterhaus auf unter 100 rutschen – zumal ihnen am rechten Rand auch noch der Brexit-Berserker Nigel Farage mit seiner Reform-UK-Partei Stimmen streitig macht. Die Wahllokale sind bis nachts geöffnet, das Ergebnis wird am frühen Freitagmorgen erwartet.


Logik oder Ideologie?

Das Kernkraftwerk Isar 2 wurde im April 2023 abgeschaltet. (Quelle: imago images)

Das Kernkraftwerk Isar 2 wurde im April 2023 abgeschaltet. (Quelle: imago images)

Haben Robert Habeck und Steffi Lemke nach Beginn des Ukraine-Kriegs einen möglichen Weiterbetrieb der Kernkraft in Deutschland ergebnisoffen geprüft? Oder stellten der grüne Wirtschaftsminister und die grüne Umweltministerin parteipolitische Vorgaben über fachliche Expertise, als sie trotz Energiekrise am Atomausstieg festhielten? Bekanntlich wurden die letzten drei in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland nach längerem Ampelstreit und einem Machtwort des Kanzlers nur geringfügig länger als geplant am Netz gelassen, nämlich bis zum April vergangenen Jahres. Zur Klärung dieser Fragen haben die Fraktionen von CDU und CSU einen Untersuchungsausschuss beantragt. Er konstituiert sich heute im Bundestag und bekommt gleich viel zu tun: Mehr als 600 Dokumente liegen auf dem Tisch.


Schweigen ist Gold

Seit Wochen verhandeln Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) über den Haushaltsplan für 2025. Dem Kanzler, dem Finanz- und dem Wirtschaftsminister ist es tatsächlich gelungen, die Vertraulichkeit zu wahren – obwohl sie unter starkem Druck ihrer Parteien und der Opposition stehen. Auch heute wird wohl (noch) nichts nach außen dringen. "Das nötigt Respekt ab – birgt aber auch eine Gefahr", schreibt mein Kollege Florian Schmidt.


Urteil in Oslo

Beim Terroranschlag auf einen Queer-Club in Oslo wurden 2022 zwei Menschen getötet und viele weitere verletzt. Heute geht der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter in der norwegischen Hauptstadt zu Ende. Dem 45-jährigen Norweger mit iranischen Wurzeln drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis.


Lesetipps

Vizepräsidentin Kamala Harris reüssiert in den Umfragen. (Quelle: IMAGO/David Muse )

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Wer könnte Joe Biden als Präsidentschaftskandidat ersetzen? Mein Kollege Julian Seiferth hat eine schlüssige Antwort.


Im Ukraine-Krieg schalten Drohnen immer wieder Kampfpanzer aus. Wie der Krieg der Zukunft aussieht, erklärt Experte Ralf Raths meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Cathy Hummels hat sich von der Spieler- zur Geschäftsfrau gemausert. Dabei offenbart sie einen fatalen Mangel an moralischer Integrität, beobachtet unsere Kolumnistin Nicole Diekmann.


Ein Forscherteam hat eine interessante Entdeckung gemacht: Ameisen amputieren verletzten Artgenossen die Beinchen und retten sie so vor dem Tod. Die Kollegen von tagesschau.de wissen mehr.


Zum Schluss

Die Unterhändler der Ampelkoalitionäre sind auf den letzten Metern.

(Quelle: Mario Lars)

(Quelle: Mario Lars)

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag (hoffentlich wird's bald wärmer!).

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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