Fridays for Future: Die EU-Wahl ist erst dann entschieden, wenn das Kreuz gesetzt ist

Die Klimabewegung fordert stärkere Maßnahmen zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens.

Mein Erwachsenwerden ist im Grunde genommen von dreien geprägt: meiner Mama, meinem Papa und der Klimabewegung. Von meiner Mama habe ich gelernt, nicht gleichgültig zu sein, auf Details zu achten. Mein Papa hat in praktisch jeder Diskussion die gegenteilige Meinung zu mir vertreten und brachte mir bei, alles kritisch zu hinterfragen. Und die Klimabewegung brachte mir das Kämpfen bei. Sie lehrte mich, was Macht ist und wie Veränderung funktioniert.

Mehr als fünf Jahre nach den ersten Klimastreiks in Deutschland, kurz vor einer Europawahl, bei der gerade über alles andere als das Klima gesprochen wird, lohnt es sich, die Lektionen einer so erfolgreichen Bewegung noch einmal in den Blick zu nehmen.

Aller Anfang ist schwer: Erste FFF-Demos waren schlecht besucht

Der Anfang: Mit 16 habe ich einen der ersten Schulstreiks fürs Klima in Deutschland organisiert. Die Demo war zunächst ein ziemlicher Flop. Es waren gerade einmal 40 Leute gekommen und für Außenstehende sahen wir wahrscheinlich eher aus wie eine verlorene Schulklasse.

Wir spazierten teilweise schweigend zwischen den Wolkenkratzern Frankfurts umher. Wir hatten keine Plakate dabei und kannten keine Demosprüche. Niemand hatte eine Route geplant, also gingen wir abwechselnd nach rechts und nach links. Mich hat es damals unfassbar viel Mut gekostet, den Matheunterricht zu schwänzen, und während wir an diesem ersten Freitag herumirrten, hatte ich nicht das Gefühl, dass es sich wirklich lohnte.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.

So sahen die Anfänge einer globalen Bewegung aus, die in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren Millionen von Menschen auf die Straßen bringen würde. Ich hätte mir an diesem ersten Freitag nicht vorstellen können, dass wir in den nächsten Jahren allein in Deutschland mehr als 9000 Klimastreiks organisieren würden.

Dass wir die Große Koalition dazu bringen, ein Klimagesetz zu verabschieden. Dass wir vor dem Bundesverfassungsgericht gewinnen und uns ein Recht auf Zukunft erstreiten oder dass wir bei der Europawahl eine "ökologische Welle" ins Europaparlament tragen, die schärfere Klimaziele, einen Green Deal und ein Ende des Verbrennungsmotors bringt.

An diesem ersten Freitag bei unserer verlorenen Frankfurter Demo pingten unsere Handys durchgehend mit Fotos aus anderen deutschen und europäischen Städten. Und plötzlich war unsere kleine Prozession Teil von etwas Größerem.

Also schwänzte ich eine Woche später wieder den Matheunterricht und lief mit einem Plakat in der Hand und doppelt so vielen Jugendlichen wie in der ersten Woche entlang unserer geplanten Demoroute zum Rathaus. In der dritten und vierten Woche verdoppelten wir uns noch einmal und drei Monate später stand ich auf einer Bühne mitten in Frankfurt und hielt eine Rede vor zehntausend Jugendlichen. Und das war immer noch der Anfang.

"Die Krise sehen alle – dass wir sie noch lösen können, glauben viele nicht mehr."

Seit meinem ersten Schulstreik sind mittlerweile mehr als fünf Jahre vergangen und es ist viel passiert. Was aber bleibt: Die Schule in der zweiten Woche zu bestreiken, erforderte unendlich viel mehr Mut als alles, was ich seitdem getan habe. Denn in der zweiten Woche haben wir beschlossen, an uns zu glauben, obwohl die erste Woche ein Flop war – und das in einer Welt, die uns ständig zu sagen scheint, dass es sinnlos ist, etwas ändern zu wollen. Schließlich sind die meisten Dinge verloren und floppig, bevor sie groß und cool werden.

Kampf gegen die Klimakrise: Viele verlieren die Hoffnung auf Erfolg

Die Welt kocht, das ökologische Gleichgewicht gerät vielerorts ins Wanken. Wir haben den heißesten Januar, Februar, März und April der gesamten Wetteraufzeichnung hinter uns. Die vergangenen elf Monate sind allesamt Rekordmonate. Die Krise sehen alle – dass wir sie noch lösen können, glauben viele nicht mehr.

Fridays for Future demonstriert seit fast sechs Jahren.

Vielerorts hört man von den Anfängen des Aufgebens, weil die Orientierungsfunktion, die eigentlich die Politik innehat, unerfüllt bleibt. Immer mehr Klimapolitik wird über Gerichte geregelt. Allein im Jahr 2022 wurden weltweit knapp 2200 Klimaklagen verhandelt. Während dadurch immer wieder große Erfolge für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen erstritten werden, ist jede Klimaklage auch ein Beweis für das Scheitern politischer Akteure, Verantwortung für die Klimakrise zu übernehmen.

"Viele der jungen Aktiven in unseren Workshops haben den Eindruck, dass das Ergebnis dieser Wahl schon feststehe."

Es bräuchte eine gesellschaftliche und kulturelle Erzählung dieser Zeit und der Herausforderungen, das Gefühl, dass es einen Plan gibt. Stattdessen verlieren sich Minister:innen in technokratischen Details, oder faseln etwas von Technologieoffenheit oder Regulierungspausen.

Wie heiß es wird, wie sehr die Ökosysteme destabilisiert werden und wie viel wir retten können, ist noch nicht entschieden. Wir befinden uns in einem winzigen historischen Fenster der Menschheitsgeschichte, in dem wir die Krise vor unseren Augen ablaufen sehen und das Schlimmste noch verhindern können.

Ich bin in diesen Tagen viel unterwegs. Wir gehen an Universitäten, Schulen und auf Marktplätze, um in großen Workshops mit jungen Menschen über Europa, Demokratie und das Klima zu diskutieren. Viele der jungen Aktiven in unseren Workshops haben den Eindruck, dass das Ergebnis dieser Wahl schon feststehe. Ich wiederhole immer wieder: Eine Wahl ist in erster Linie immer eine Entscheidung und die ist erst dann endgültig, wenn die Menschen ihr Kreuz auf dem Wahlzettel gemacht haben.

Am 9. Juni ist Europawahl. Die Wahl entscheidet auch über den Kampf gegen die Klimakrise.

Es ist mühsam, in diesen Tagen über das Klima zu sprechen. Selbst Vertreter:innen großer Umweltverbände erzählen uns, dass das Thema gerade "nicht zieht" und wir uns lieber auf die Bedrohung durch den Rechtsextremismus fokussieren sollten. Das ist aber ein gefährlicher Fehlschluss. Denn in den letzten Jahren haben wir bei Fridays for Future immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir uns nicht für eine Krise entscheiden müssen.

Europawahl 2024: Fridays for Future kämpft weiter für Klimaschutz

Für uns ist klar: Wir werden immer über die Klimakrise sprechen, weil sie eine so fundamentale Bedrohung darstellt und weil niemand über das Klima sprechen wird, wenn Fridays for Future es nicht tut. Aber auch: Wenn es Bühnen, Versammlungsleiter:innen und Redner:innen für die großen Demokratiedemonstrationen braucht, sind Fridays for Future-Aktivist:innen auch da.

Und es tut mir leid, aber es gibt die magische Drei-Schritte-Anleitung zur Rettung des Planeten nicht. Aber kämpfen (und kämpfen und kämpfen) lohnt sich. Im Jahr 2021, am Vorabend der Klimastreiks vor der Bundestagswahl, war ich mir sicher, dass niemand kommen würde nach einem zermürbenden und anstrengenden Wahlkampfsommer, in dem Klimaschutz immer nur über die Frage, was er kostet, verhandelt wurde.

Helena Marschall schreibt, spricht und organisiert bei Fridays for Future.

Am nächsten Tag blickte ich vor dem Bundestag in hunderttausend Gesichter. Ich war wirklich unendlich dankbar für jeden einzelnen Menschen, der mit mir an diesem Tag demonstriert hat. Zwei Tage später war das Klima eines der drei wichtigsten Themen für die Menschen bei ihrer Wahlentscheidung.

Die letzten Jahre lassen sich nicht als einfache, leichte Geschichte erzählen, denn Wandel ist weder einfach noch leicht. Die Klimakrise schon gar nicht. Viele Errungenschaften, die wir bei den letzten Europawahlen erkämpft haben, stehen bei dieser Wahl wieder unter Beschuss von Konservativen und Rechten. Deshalb werden wir am 31. Mai, eine Woche vor der Wahl, wieder auf die Straße gehen. Alles andere wäre ja komisch.