Fridays for Future nach EU-Wahl: "Krisen haben Spuren hinterlassen"

Fridays for Future warb wochenlang für die EU-Wahl.

Mit 11 Jahren war ich zum ersten Mal auf einer Demonstration. Mein Vater hatte mich mitgenommen, eine Kundgebung gegen die #Pegida-Demo in meiner Heimatstadt Grimma. Nebenan war der Jugendclub der Diakonie, eine der jungen Ehrenamtlichen dort brachte mich rein, zeigte mir den Club, die Tischtennisplatte, das kleine Buffet mit Muffins und Obst.

Mit ihrem Schal – es war Winter – und einem Küchlein verließ ich den Club und demonstrierte 2015 zum ersten Mal in meinem Leben gegen Rechtsextreme. Danach redete ich mit meinem Freund:innen selten über Politik und informierte mich nur ab und an über Instagram.

Kindheit in Ostdeutschland: Seite an Seite mit Nazis

Dann kam Fridays for Future. Am 15. März 2019 fuhr ich mit Freund:innen zum ersten globalen Klimastreik nach Leipzig, die Politik steckte mitten im Europa-Wahlkampf. Damals fing ich an, mich wirklich viel mit Politik zu beschäftigen. Ich las Artikel und Meinungsbeiträge, entwickelte eigene fundierte Haltungen und Überzeugungen.

Schnell musste ich lernen, was es heißt, in Ostdeutschland progressiv-politisch zu sein. Die AfD holte in meiner Gemeinde 28,5 Prozent, sie wurde dort zur stärksten Kraft bei der EU-Wahl. Nazis im Klassenzimmer, Nazis auf der Straße: Aus meinem Leben in der sächsischen Kleinstadt waren sie nicht wegzudenken.

Magdalena Hess startete zu Jahresbeginn mit anderen Aktivist:innen die Anti-AfD-Proteste.

Viele Progressive wurden öffentlich beleidigt und bedroht, die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas haben wir hautnah spüren können. In einem hundertfach abonnierten Telegramkanal hieß es 2021: "Man stelle sich einmal vor, auf das Haus von Runge würde ein Brandanschlag verübt" und "Mal sehen, wie lange die noch lachen können".

"Fast alle demokratischen und progressiven Parteien haben bei dieser Europawahl verloren."

Aber wir ließen uns nicht unterkriegen, wir haben uns weiter eingesetzt. Jedes Jahr, wenn wieder eine Parteiveranstaltung mit Höcke anstand, haben wir eine Gegenkundgebung organisiert. Jahr für Jahr, Demo für Demo.

Trotz Demonstrationen: AfD feiert vielerorts Wahlerfolge

Auch Anfang diesen Jahres gab es wieder eine Kundgebung. Doch dieses Mal fühlte sich alles ein wenig anders an. Nach den riesigen Demonstrationen in den Großstädten, dem Lichtermeer vor dem Bundestag, kamen auch in Grimma 750 Menschen auf dem Marktplatz zusammen. Das sind mehr, als ich mir je auf einer Demonstration in meiner Heimat vorstellen konnte.

Und doch steht heute die AfD allen Demonstrationen zum Trotz bei 15,9 Prozent, ihrem bisher besten bundesweiten Ergebnis.In Grimma konnten sie mehr als jede:n dritte:n Wahlberechtigte:n für sich gewinnen, 35,7 Prozent.

Es gibt Dinge, die sind schlecht an dieser Wahl. Schlecht ist zum Beispiel: 6,2 Millionen Deutsche haben ihre Stimme einer rechtsextremen Partei gegeben. Schlecht ist außerdem: Fast alle demokratischen und progressiven Parteien haben bei dieser Europawahl verloren.

Tristan Runge wuchs in Grimma auf, war dort eine der treibenden Kräfte der lokalen FFF-Bewegung.

Es gibt einen merkbaren Vertrauenseinbruch, die Krisen der letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. Besonders merklich ist das bei unserer Generation: Die stärkste Kraft sind hier mit Abstand Kleinparteien, Parteien, die teilweise in noch keinem einzigen Parlament sitzen.

Und dann gibt es Dinge, die sind weniger schlecht, als das gerade gesagt wird. "Die Jugend hat den Klimaschutz abgewählt" heißt es und "Generation Greta ist jetzt Generation Gauland". Bezug genommen wird auf die etwa 900.000 Menschen unter 30, die dieses Mal die AfD gewählt haben.

Rechtsruck, ja – aber viele junge Menschen wählen

Natürlich ist das grässlich und natürlich war das vor ein paar Jahren nicht so. Aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil sind Millionen Jugendliche, die in einer hoch politisierten Zeit zum allerersten Mal in ihrem Leben an einer EU-Wahl teilgenommen haben und ganz entschieden ihr Kreuz bei einer demokratischen Partei gemacht haben.

Stärkste Kraft grün, wenn man nicht den Fakt ignoriert, dass die 9 Prozent für Volt und 4 Prozent für die Satiriker von der Partei "Die Partei" auf europäischer Ebene zur Fraktion Greens/EFA zählen.

Luisa Neubauer bei einer Demo gegen Rechts im Januar.

Und obwohl wir eine absolute Generation Polykrise sind, war Klimaschutz ein entscheidendes Kriterium für diese Entscheidung. 65 Prozent sagen, dass sie dieses Thema besonders beschäftigt hat.

AfD verlor nach Correctiv-Recherchen in den Umfragen

Und dann sind da Dinge, die sind toll.Im Dezember lag die AfD in Umfragen bei 23 Prozent. Dann kamen die Recherchen von Correctiv über das Geheimtreffen in Potsdam und die rassistischen Deportationspläne, die die Partei verfolgt. Innerhalb weniger Tage ist der Funke übergesprungen und Demokratiegeschichte geschrieben.

"Wir sind in der sehr kostbaren Situation, dass die AfD in keinem einzigen Bundesland regiert."

Geschichte von Jugendlichen, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Demonstration angemeldet haben und dann abends vor dem Kanzleramt standen, auf ein paar Getränkekisten, alles etwas improvisiert, wackelige Stimme, wackelige Bühne, aber auch tausend Menschen, die sich irgendwann alle an den Händen halten.

Oder von Bündnissen in kleinen Städten, die über Jahre mit einer Handvoll Menschen jedes Mal da standen, wenn wieder Rechtsextreme durch die Straßen gezogen sind, die plötzlich Verstärkung bekommen haben und sich in neuen Räumen treffen mussten, weil in den alten gar kein Platz mehr war für alle Menschen, die jetzt dabei sein wollten, mithelfen, anpacken.

Bei Erfolgsgeschichten ist es manchmal wichtig, im Blick zu behalten, wo sie begonnen haben. Sieben Prozent hat die AfD seitdem verloren, und jede einzelne Stichwahl bei den Kommunalwahlen in Thüringen.

Das Beste aber ist, dass wir diese Geschichte jetzt weiter schreiben können. Bis zu den Landtagswahlen sind es noch zweieinhalb Monate. Wir sind in der sehr kostbaren Situation, dass die AfD in keinem einzigen Bundesland regiert. Ob wir es also schaffen, unsere Demokratie zu schützen, ist eine offene Frage.

Es gibt in dieser Zeit zwei Arten von Zuversicht. Die Schlechte wäre, jetzt davon auszugehen, dass sich die Probleme von alleine lösen. Die Gute aber ist, dass wir, wenn wir uns zusammentun, die Zuversicht haben dürfen und sollen, dass wir die Probleme gemeinsam lösen können.